Redaktionsbüro Peter von Bechen http://www.vonbechen.de/Peter Fachjournalismus für Technik Sat, 30 Mar 2019 17:33:59 +0000 de-DE hourly 1 https://wordpress.org/?v=6.1.1 Der „Marconi von Deggendorf“ /archiv/vonbechen.de/peter/2019/03/30/der-marconi-von-deggendorf/ /archiv/vonbechen.de/peter/2019/03/30/der-marconi-von-deggendorf/#respond Sat, 30 Mar 2019 17:29:46 +0000 /archiv/vonbechen.de/peter/?p=288 Weiterlesen ]]> Die Geschichte des Lehrers und „Radiopioniers“ Theodor Eckert

In den frühen Jahren des Funkwesens waren es nicht nur Forscher, Wissenschaftler und Ingenieure, die wesentliche Beiträge zur Weiterentwicklung der Technik leisteten, sondern auch immer wieder Laien wie der Lehrer Theodor Eckert aus Deggendorf.

Theodor Eckert *11.03.1887, †15.06.1960.

Überall in Deutschland gab es in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts Menschen, die von der seinerzeit neuartigen drahtlosen Kommunikation fasziniert waren und damit herumexperimentierten. So auch im niederbayerischen Deggendorf. Hier war es der Lehrer Theodor Eckert (11.03.1887 – 15.06.1960), der neben seiner Tätigkeit als geschätzter Pädagoge an verschiedenen Schulen und als Stadtrat auch als Experte auf dem Gebiet der Funktechnik nicht nur in seiner Heimatstadt bekannt und berühmt wurde.

Geachteter Pädagoge

Ehemalige Schüler beschreiben ihn als strengen Lehrer, der immer großen Wert auf korrekte Rechtschreibung und ordentliche Heftführung legte. Sein Klassenzimmer glich allerdings eher einem physikalischen Laboratorium, denn auch Elektro- und Funktechnik standen in den oberen Klassen auf seinem Lehrplan. Neben dem Fach Deutsch lag ihm insbesondere der Sachunterricht, insbesondere die damals sogenannte „Naturlehre“, am Herzen. In den Jahren nach dem ersten Weltkrieg waren es chemische und physikalische Experimente, die eigentlich über das Pensum des offiziellen Lehrplans hinausgingen. Bei den Schülern riefen diese großes Interesse hervor, so dass sie ihren Lehrer dafür bewunderten.

Eckerts Klassenzimmer glich einem physikalischen Laboratorium.

Magnetische und elektrische Effekte, die Erzeugung von Elektrizität mit Elementen und Maschinen, die Funktion des Telefons sowie des Morseschreibers und schließlich die damals noch weitgehend unbekannten Funktechnik verstand Eckert anschaulich darzustellen. Er konnte seine Schüler so weit dafür begeistern, dass diese sich sogar nach dem Unterricht intensiv damit beschäftigten. Letztendlich wirkte sich das auch auf die schulischen Leistungen positiv aus, denn er hielt seine Schüler an, ihre Beobachtungen mit Berichten sowie Zeichnungen exakt zu dokumentieren und auch so weit wie möglich mathematisch zu beschreiben [1].

Frühe Funkversuche

Eckert selbst war von Anfang an fasziniert von den Fortschritten, die Wissenschaftler, Forscher, Erfinder und Ingenieure zu Beginn des 20. Jahrhunderts auf dem Gebiet der Funktechnik machten und bis dahin erreicht hatten. Bereits 1908 hielt er einen Experimentalvortrag im katholischen Presseverein Viechtach, wo er mit seinem großen Funkeninduktor nach Rühmkorff sowie einem Fritter als Indikator für elektrische Wellen drahtlos Signale übertrug und damit das Publikum beeindruckte.

Deggendorfer Rathausturm, links im Hintergrund die Grabkirche . 1912 machte Eckert zusammen mit seinem Freund Karl Danzer hier die ersten Sendeversuche und überbrückte diese Distanz.

1912 machte er zusammen mit seinem Freund Karl Danzer die ersten Sendeversuche vom Deggendorfer Rathausturm zum Turm der Grabkriche. 1916 errichtete er in seiner Heimatstadt eine größere Antennenanlage, die sich vom Turm der Kirche auf dem Geiersberg auf das Gelände des heutigen Soldatenfriedhofs „Gefallenenhain“ erstreckte. Sein Empfangsapparat enthielt einen Detektor aus Grafit und Bleiglanz. Aufnehmen konnte er Zeitzeichen des Senders Nauen, aber auch die teilweise verschlüsselten Telegrafiesignale aus Moskau oder vom Sender auf dem Pariser Eiffelturm. Auch der Empfang von Funksignalen des Luftschiffes „Graf Zeppelin“ gelang angeblich. Sein „Assistent“ dabei war Max Daunderer.

Kaserne des Eisenbahnbattalions in München.

Eckert konnte auch während des 1. Weltkrieges diese Versuche durchführen, denn er war während der Zeit nicht an einer der Fronten, sondern in der Etappe, meistens nicht weit von seiner Heimatstadt entfernt. Zunächst diente er als Pionier in Ingolstadt und beim Eisenbahnbatallion in München. Gegen Kriegsende 1918 kam er zur Infanterie in Straubing und wurde dort noch zum Unteroffizier befördert [2].

Absolutes Funkverbot nach dem Krieg

Nach Kriegsende gründete er 1919 den „Bund der Funkerfreunde“ als lokalen Verein, der aber nicht lange existierte. Wegen der turbulenten politischen Verhältnisse der jungen Weimarer Republik, bei der sich regierungsfeindliche Organisationen der drahtlosen Kommunikationstechnik bemächtigt hatten, verbot die Reichsregierung Zivilisten jegliche praktische Betätigung auf dem Gebiet des Funkwesens, so dass dies bis 1923 ausschließlich staatlichen Stellen wie der Reichspost oder dem Militär vorbehalten war. Privatpersonen durften keinerlei Empfangsgeräte betreiben, und Sender erst recht nicht. Schon der Versuch zum Errichten einer „Funkanlage“ (auch Empfangsanlage) war strafbar [3]. Weil die Vorschriften immer strenger wurden, musste Eckert die Antennenalge, die zwischen dem Turm der Grabkirche und dem Dachreiter der Knabenschule gespannt war, abbauen.

Eckert war während dieser Zeit für das Militär tätig. Auf Grund seiner Kenntnisse wurde er mit der Überprüfung der Kandidaten von Übungen der Standortfunkstelle Passau/Oberhaus beauftragt.

Der Beginn des Rundfunks

Nach langen Diskussionen in der Reichsregierung, beim Militär und bei der Reichspost sowie auf Drängen der Industrie, die Radiogeräte herstellen wollte, wurde im Juli 1923 in Deutschland das Rundfunk-Empfangsverbot für Private aufgehoben. Weil die Post das Fernmeldegeheimnis in Gefahr sah und das Militär Spionage befürchtetet, gab es allerdings wesentliche Einschränkungen: Es durften nur Geräte verwendet werden, die ausschließlich den Wellenbereich zwischen 250 und 700 m (etwa die heutige Mittelwelle) empfangen können und keine Rückkopplung besitzen.

Ausgenommen davon waren Personen, die im Besitz einer „Audionversuchserlaubnis“ waren. Diese erteilte die Reichspost Forschern und Fachleuten sowie Angehörigen von Reichs- und Landesbehörden. Außerdem konnte man durch Vermittlung anerkannter „Funkfreunde-Vereine“ diese „Audionversuchserlaubnis“ erwerben. Es war deshalb erforderlich, dass jeder ernsthaft radiobegeisterte Laie, auch „Radioamateur“ genannt (nicht zu verwechseln mit den heutigen „Funkamateuren“) Mitglied in einem solchen Verein sein musste [4]. So bildeten sich innerhalb kürzester Zeit überall in Deutschland „Radioklubs“, so auch der am 27.07.1923 in München gegründete „Süddeutschen Radio Klub“ zu deren Gründungsmitgliedern Eckert zählte.

Mitteilungen der Süddeutschen Radio-Klubs in der Bayerischen Radiozeitung 1923.
Ausschnitt

Auch in Deggendorf formierte sich, wie in vielen bayerischen Städten, jeweils eine Ortsgruppe des Süddeutschen Radio Klubs. Dachverband für alle Regionalvereine war der „Deutsche Radio Klub“ in Berlin. Aufgabe dieser Vereine war sicherzustellen, dass die Mitglieder in der Lage waren, ihre Empfangsgeräte ordnungsgemäß zu betreiben, ohne andere Funkdienste zu stören. Theodor Eckert bildete zusammen mit Oberpostmeister Eustachius Winkler (Plattling) und Ingenieur Georg Zwinger (Plattling) den Prüfungsausschuss für elektrische und funktechnische Kenntnisse.

Obwohl zunächst offiziell noch kein Rundfunkprogramm in Deutschland ausgestrahlt wurde, setzte sich schnell eine Welle der Radiobegeisterung in der Bevölkerung in Bewegung. Schließlich konnten Sender aus vielen Nachbarländern und die Versuchssendungen deutscher Stationen empfangen werden. Am 29. Oktober 1923 war es dann endlich so weit: Der Rundfunk in Deutschland begann offiziell. Um 20:00 Uhr meldete sich die „Deutsche Stunde“ mit der Ansage: „Achtung! Achtung! Hier ist die Sendestelle Berlin, im Vox-Haus auf Welle 400 Meter. Meine Damen und Herren, wir machen Ihnen davon Mitteilung, dass am heutigen Tage der Unterhaltungsrundfunkdienst mit Verbreitung von Musikvorführungen auf drahtlos-telefonischem Wege beginnt. Die Benutzung ist genehmigungspflichtig!“ [5]. Zu diesem Zeitpunkt gab es in Deutschland keinen einzigen Teilnehmer mit Rundfunkgenehmigung, aber schätzungsweise 10.000 Schwarzhörer. Am 31.10. meldete sich der Berliner Zigarrenhändler Wilhelm Kollhoff als erster Rundfunkteilnehmer an und musste dafür 350 Millionen (Papier-)Mark zahlen [6]. Auch Theodor Eckert gehörte in jenen Tagen zu den ersten, die in Deutschland eine Rundfunkgenehmigung beantragten. „Schwarzhören“ wäre für ihn als gesetzestreuen deutschen Beamten mit Sicherheit undenkbar gewesen.

Ära des Radiobastelns

Nachdem Radiohören legal war, wünschten sich viele Menschen einen Empfänger. Fertige Geräte waren teuer, nicht zuletzt wegen der nicht unerheblichen Lizenzgebühren, die große Firmen wie Telefunken als Patentinhaber kassierten. Eine Alternative war der Selbstbau. Dazu wurden praktische Anleitungen gebraucht: So erschienen ab 1923 zahlreiche Zeitschriften und Bücher zum Thema Radiobasteln. Auch Theodor Eckert war mit einem Werk dabei: „Audion-Einröhrengerät – Anleitung zum Bau eines Radio-Empfangs-Apparates mit Rückkopplungsschaltung“, das er zusammen mit Ernst Schneebauer verfasste. Es erschien 1924 als Band 94 der Reihe „Spiel und Arbeit“ beim Otto Maier-Verlag Ravensburg [7].

Titel des Buchs „Audion-Einröhrengerät. Anleitung zum Bau eines Radio-Empfangsgerätes mit Rückkopplungsschaltung“.

Bemerkenswert an diesem Büchlein sind der Detailreichtum und die Exaktheit der Beschreibung. Es enthält einen großformatigen 1:1-Bauplan, und selbst der Bau der Anodenbatterie wird genau beschrieben. Hier zeigt sich, dass sich die Verfasser mit Konzept und Konstruktion des Gerätes intensiv befasst haben.

Farbige Konstruktionszeichnung in Frm eines 1:1-Bauplans.

In den folgenden Jahren hielt Eckert viele Vorträge über die Funktechnik vor naturwissenschaftlichen Vereinen, bei Heimatabenden, Rundfunkveranstaltungen oder Ausstellungen und schließlich auch bei einem Funkkurs des Senders München.

Bemerkenswert war auch die Entstörung der elektrischen Anlagen der Sirius-Werke in der Deggerau, für die die Initiative von Eckert ausging, in dem er ein Ansuchen an das Telegrafentechnische Reichsamt in München stellte. Die von dort ausgehenden Störungen bereiteten bis zu ihrer Beseitigung Probleme beim Rundfunkempfang in der weiteren Umgebung.

Das „Eckertsche Gerät“

1930 setzte die Reichsrundfunkgesellschaft anlässlich der Großen Deutschen Funkausstellung in Berlin einen Preis aus für die Entwicklung eines Zusatzgerätes für Radioempfänger zur wirksamen Unterdrückung von Störungen und Vermeiden des Durchschlagen des Nachbarsenders. Theodor Eckert hatte sich schon seit längerem mit diesem Thema befasst und unterschiedliche Methoden zur Lösung dieses Problems experimentell untersucht, z. B. die bis dahin bekannten Filter und Sperrkreise, die allerdings nicht immer den gewünschten Erfolg brachten. Er kam auf die Idee, eine Schaltung zu entwickeln, bei der das Störsignal phasenverkehrt mit dem gestörten Nutzsignal gemischt und so die Störung praktisch ausgelöscht wird. Er machte sich dabei zu Nutze, dass ein Signal an der Anode einer Verstärkerröhre eine Phasenverschiebung von 180 Grad gegenüber der Gitterspannung aufweist.

Schaltung des „Eckertschen Gerätes“. (aus [12])
Verdrahtung des „Eckertschen Gerätes“. (aus[12])

Diesen Effekt setzte er in seiner Konstruktion um, die aus zwei Schwingkreisen besteht, von denen einer auf die Stör- und der andere auf die Nutzfrequenz abgestimmt ist. Das ausgefilterte Störsignal wird mit einer Röhre verstärkt und wirkt phasenverkehrt auf die Spule am Ausgang, an der das Nutzsignal anliegt. Mit umschaltbaren Widerständen lässt sich die Kopplung in dem Netzwerk einstellen. Das Ganze ist in einem Metallgehäuse mit drei Kammern untergebracht, damit die einzelnen Spulen nicht induktiv miteinander koppeln.

Eckert hatte nur zwei Monate Zeit, um sein Mustergerät zu bauen und der Prüfungskommission beim Heinrich-Hertz-Institut zuzusenden. Diese bestand aus Vertretern der Funkvereine, des Heinrich-Hertz-Instituts, des Reichspostzentralamtes sowie der Reichsrundfunkgesellschaft. Auf den heute noch vorhandenen Fotos erkennt man die übersichtliche Konstruktion und den sauberen Aufbau des „Eckerschen Gerätes“, das auch auf der Funkausstellung gezeigt und vom Publikum bestaunt wurde.

Innenansicht des „Eckertschen Gerätes. (aus [12])
Ansicht von unten (aus [12])

In einem Artikel in der „Elektrischen Nachrichtentechnik“ [8] berichtet kein Geringerer als Professor Gustav Leithäuser von der Überprüfung des „Eckerschen Gerätes“ und ist voll des Lobes: „Unter Benutzung des Vorsatzgerätes konnte bereits die Trägerwelle derjenigen Stationen sauber eingestellt werden, die nur 9 kHz Abstand von der Berliner Welle haben. Der Sender Kattowitz, dessen Abstand von Berlin 18 kHz beträgt, konnte einwandfrei aufgenommen werden.“ Und weiter: „Aus diesen Versuchen ersieht man, daß das Vorsatzgerät zur Kompensation außerordentlich wirksam ist. Man sieht aber auch, dass die Einstellung des Verschwinden der Ortssenders eine sehr scharfe Einstellung verlangt, die einige Schwierigkeiten mit sich bringt…“ Auf dieses Problem hatte Eckert allerdings schon bei seinem Bewerbungsschreiben hingewiesen und angemerkt, dass bei einer Verfeinerung der Konstruktion eventuell noch günstigere Resultate erzielbar seien.

Einladung zur Verleihung der Heinrich-Hertz-Medaille vom November 1930. (Bild: Handwerksmuseum Dggendorf)

Die Heinrich-Hertz-Medaille

Die Prüfungskommission vergab dafür den ersten Preis, dotiert mit 500 RM, an Eckert und schlug ihn darüber hinaus zur Verleihung der Heinrich-Hertz-Medaille in Silber vor. Diese Auszeichnung wurde anlässlich einer Festsitzung des Heinrich-Hertz-Institutes und der Reichsrundfunkgesellschaft vom Vorsitzenden der Heinrich-Hertz-Gesellschaft Prof. Dr. K. W. Wagner überreicht. Im Jahr 1930 gab es gleich vier mit der Heinrich-Hertz-Medaille Geehrte: Gold für Prof. Dr. August Karolus, Entwickler der „Karolus-Kerr-Zelle“ zur trägheitsfreien Lichtsteuerung, auf der die erste elektrische Fernsehapparatur basierte, Silber für Theodor Eckert für den Apparat zur Störunterdrückung sowie je eine Bronzemedaille für Dr. phil. Adolf Franke, Mitentwickler des „Franke-Dönitzschen Wellenmessers“ sowie Dr.-Ing. E. h. Paul Mamroth, Mitbegründer der „Deutschen Rundfunk AG“. Neben den Wissenschaftlern und Forschern verlieh die Heinrich-Hertz-Gesellschaft regelmäßig auch Auszeichnungen an Laien, sogenannte „Funkbastler“, weil diese seinerzeit einen nicht unerheblichen Anteil an der technischen Entwickelung hatten [10].

Rückseite der Heinrich-Hertz-Medaille, die Eckert verliehen wurde. (Bild: Handwerksmuseum Deggendorf)

Die Große Deutsche Funkausstellung war schon seinerzeit ein Ereignis, das große Aufmerksamkeit nicht nur bei Fachmedien, sondern auch in der Tagespresse fand. So brachten zahlreiche Zeitungen im In- und Ausland „sehr anerkennende Artikel mit dem Bildnis Eckerts“. Die renommierte „Süddeutsche Sonntagspost“ in München nannte ihn sogar den „Marconi von Deggendorf“.

Die Süddeutsche Sonntagspost nannte Eckert den „Marconi von Deggendorf“

In Deggendorf war man auf Eckerts Leistung mächtig stolz. „An dieser ganz hervorragenden Ehrung für eine epochmachende Spitzenleistung des Geistes nimmt mit dem In- und Ausland auch die Heimatgemeinde des Ausgezeichneten und in kollegialer Mitfreude der gesamte Stadtrat teil,“ so der damalige Bürgermeister Dr. Reus, und weiter „Wir beglückwünschen Hrn. Kollegen Eckert herzlich zu dem großen Erfolge und freuen uns, ihn unseren Mitbürger nennen zu können…“.

Zinnkrug, der Eckert vom Ortsverein der Bayerichen Radio Klubs überreicht wurde.

Natürlich wurde am 25.11.1930 die Verleihung der Heinrich-Hertz-Medaille auch in der Ortsgruppe Deggendorf des Bayerischen Radio Klubs gebührend gefeiert. „Auch bei dieser Gelegenheit fand der Vorsitzende des Stadtrates anerkennende Worte für den um die Stadt sehr verdienten Meister der Rundfunksache,“ so Reus [11]. Der Ortsverein überreichte Eckert als Ehrung einen Zinnkrug mit Widmung.

Die Erkenntnisse, die Eckert bei der Entwicklung seines Vorsatzgerätes gewann, fasste er kurz darauf in dem Büchlein „Das Unversal-Trenngerät“ zusammen, das 1931 als Band 28 in der „Deutschen Radiobücherei“, Berlin, [12] erschien. Hier beschrieb er sehr detailliert die bis dahin üblichen Mittel zur Unterdrückung benachbarter Sender, sein prämiertes Vorsatzgerät und schließlich auch die Möglichkeiten zu dessen Weiterentwicklung. Wie in seinem ersten Buch findet man hier sorgfältig ausgearbeitete Beschreibungen sowie einen großformatigen 1:1-Bauplan

Band 28 der Deutschen Radio-Bücherei. (Sammlung Nietmann)

Das Patent

Weil die Idee Eckerts, die dem Vorsatzgerät zu Grunde lag, durchaus Neuigkeitswert besaß, lag es nahe, ein Patent anzustreben, um bei eventueller kommerzieller Verwendung auch einen finanziellen Nutzen daraus ziehen zu können. In unveränderter Form war „Eckertsche Gerät“ allerdings nicht mehr patentierbar, weil es ja inzwischen schon wegen der zahlreichen Veröffentlichungen allgemein bekannt war. Deshalb ließ sich Eckert eine neue Variante seiner Schaltung einfallen. Er meldete im Mai 1933 ein „Verfahren zur wahlweisen Verwendung einer als Hochfrequenzverstärker dienenden Eingangsstufe eines Empfängers als Verstärker für die Nutzfrequenz oder zur Kompensation von Fremdwellen“ an. Gelöst werden sollte damit das Problem, dass tagsüber lediglich der Ortssender und wenige starke Fernsender zu empfangen sind, nach Einbruch der Dunkelheit dagegen die Zahl der empfangen Stationen so stark zunimmt, dass sie sich kaum voneinander trennen lassen. Seine Schaltung bestand daher aus einer Röhrenverstärkerstufe, die sich mit Hilfe eines Umschalters tagsüber als reiner HF-Vorverstärker nutzen ließ und abends als Kompensationsschaltung zur Unterdrückung störender Sender. Das angeschlossene Radio sollte so am Tag und in der Nacht gleich gut funktionieren. Aus diesem Grunde wählte er für seinen Konstruktion den Namen „Äquinocticum“. Dieser Begriff kommt aus der Astronomie und bezeichnet die beiden Tage im Jahr, in denen Tag und Nacht gleich lange dauern („Tag-Nacht-Gleiche“).

Schaltung des „Äquinocticum“ aus Patentschrift Nr 603 145 von 1934 [13].

Das Patent wurde Eckert im September 1934 unter der Nummer 603 145 vom Reichspatentamt erteilt [13]. Es lässt sich heute leider nicht mehr feststellen, ob seine Schaltung von einer der seinerzeit zahlreichen Radiofirmen genutzt wurde und ob Eckert daraus jemals einen finanziellen Nutzen gehabt hatte.

Späte Ehrungen nach dem Krieg

Eckert war neben seiner Tätigkeit als Lehrer nicht nur in der Funktechnik aktiv, sondern er engagierte sich auch in der Kommunalpolitik. So war er im Stadtrat, zunächst für die „Unparteiische Interessengemeinschaft“, nach 1933 für die NSDAP, deren Mitglied er recht früh geworden war. Hier kümmerte er sich um Maßnahmen zur Verschönerung der Stadt, Schaffung von Parkanlagen und ähnliches. Ab 1938 war Eckert verantwortlich für die Rundfunkstelle der örtlichen Kreispropagandaleitung der NSDAP.

Parteigliederung der NSDAP in Deggendorf 1938
Ausschnitt

Wegen seiner der NS-Parteizugehörigkeit wurde er 1945 beim Eintreffen der amerikanischen Truppen in Deggendorf verhaftet und interniert. Daraufhin wurde er als Beamter aus dem Dienst entfernt. Im Rahmen der Entnazifizierung wurde Eckert in der Gruppe 4 („Mitläufer“) eingestuft. Am 21. Mai 1948 wurde entschieden, dass gegen die Wiedereinstellung des Oberlehrers Eckert an der Volkshauptschule Deggendorf „keine politischen Bedenken“ bestünden. 1950 wurde er wieder in das Beamtenverhältnis berufen, ließ sich aber dann auf eigenen Wunsch in den Ruhestand versetzen. 1959 wurde er von seiner Heimatstadt für seine Verdienste mit der Bürgermedaille geehrt.

Bürgermedaille der Stadt Deggendorf (rechts) von 1959 neben der Heinrich-Hertz-Medaille von 1930.
1962 wurde in Deggendorf eine Straße nach Theodor Eckerd benannt. (Bild: Peter von Bechen)

Am 15. Juni 1960 starb Theodor Eckert. Nach seinem Tode wurde eine Straße in Deggendorf nach ihm benannt (1962) und anlässlich seines 80. Geburtstages erhielt die „Alte Knabenschule“, an der er jahrelang Lehrer und Rektor war, den Namen „Theodor-Eckert-Schule“. Nach dem Auszug aus diesem Gebäude wanderte der Name zur neu errichteten Grundschule am Pandurenweg mit.

Ehemalige Theodor-Eckert-Schule, die „Alte Knabenschule“ . Heute Heimatmuseum. (Bild: Peter von Bechen)
Theodor-Eckert-Grundschule am Pandurenweg in Deggendorf. (Bild: Peter von Bechen)

Die Vergangenheit Eckerts in der NS-Zeit wurde bei den Ehrungen und Namensgebungen nicht hinterfragt oder erwähnt. Es gibt allerdings auch keinerlei belastenden Veröffentlichungen oder Aussagen, aus denen hervorgeht, dass er ein fanatischer Nazi war [14].

Im Handwerksmuseum Deggendorf sind heute Gegenstände aus dem Besitz Theodor Eckerts ausgestellt, z. B. seine Auszeichnungen, Original-Schriftstücke und historische Empfangs- und Sendegeräte aus der Zeit nach dem 1. Weltkrieg.

Danksagung
An dieser Stelle herzlichen Dank an folgende Personen, die den Autor bei den Recherchen zu Theodor Eckert mit Informationen und Dokumenten unterstützt haben: Heribert Aichner, Deggendorf, Erich Kandler und Prof. Dr. Lutz-Dieter Behrend vom Stadtarchiv Deggendorf, Ulrike Schwarz M. A. vom Handwerksmuseum Deggendorf sowie an GFGF-Mitglied Willy Nietmann, Büren.

Quellen/Literatur

[1] Kuchler, F.: Meine Erinnerungen an besondere Leut. Verlag Ebner, Deggendorf 2001. ISBN 3-934726-02-X.

[2] o.V.: Vor 20 Jahren starb der Physiker Theodor Eckert. Plattlinger Anzeiger vom 21.06.1980, S. 14.

[3] Günther, H., Fuchs, F.: Der Praktische Radioamateur. Franckhsche Verlagshandlung, Stuttgart 1924.

[4] Koerner, W. F.: Geschichte des Amateurfunks. Koernersche Druckerei und Verlagsanstalt, Gerlingen 1963.

[5] http://www.deutschlandradio.de/achtung-hier-sendestelle-berlin-voxhaus.331.de.html?dram:article_id=260292 (12/2014)

und http://de.wikipedia.org/wiki/Geschichte_des_Hörfunks_in_Deutschland (12/2014)

[6] http://de.wikipedia.org/wiki/Wilhelm_Kollhoff (12/2014)

[7] Eckert, Th., Schneebauer, E.: Audion-Einröhrengerät. Anleitung zum Bau eines Radio-Empfangsgerätes mit Rückkopplungsschaltung. Reihe „Spiel und Arbeit“, Bd. 96. Verlag Otto Maier, Ravensburg 1924.

[8] Leithäuser, G.: Bericht über die im Auftrag des Prüfungsausschusses im Heinrich-Hertz-Institut ausgeführte Untersuchung des Eckertschen Geräts. Elektrische Nachrichtentechnik 1930, H. 12, S. 511 – 512.

[9] Eckert, Th.: Zusatzgerät zur Erhöhung der Abstimmschärfe und Verminderung von Störungen. Elektrische Nachrichtentechnik 1930, H. 12, S. 510 – 511.

[10] Börner, H.: Heinrich-Hertz-Medaille ausgegraben. Funkgeschichte 134 (2000), S. 282 – 284.

[11] Stadtratsbeschluss der Plenarsitzung vom 5.12.1930. Protokoll des Stadtrates Deggendorf.

[12] Eckert, Th.: Das Universal-Trenngerät. Neue Filter-, Leit-, Sperr- und Saugkreise. Deutsche Radio-Bücherei Bd. 28. Deutsch-Literarisches Institut J. Schneider, Berlin-Tempelhof 1931.

[13] Patentschrift Nr 603 145. Reichspatentamt, ausgegeben am 22. September 1934.

[14] persönliches Manuskript von Prof. Lutz-Dieter Behrendt, Stadtarchiv Deggendorf.

[15] Kniestedt, J.: Heinrich Hertz. Sonderdruck des Archivs Post- und Fernmeldewesen 1989, H. 1, S. 56.

Heinrich-Hertz-Medaille
Es gab/gibt nicht nur eine Heinrich-Hertz-Medaille, sondern es sind mindestens vierverschiedene bekannt:
1. Die „Heinrich-Hertz-Medaille“, die von der 1924 in Hamburg gegründeten Heinrich-Hertz-Gesellschaft verliehen wurde, unter anderem an Alexander Meißner (1925), Jonathan Zennek, Graf Arco und Hans Bredow (1926), Max Wien (1927), Heinrich Barkhausen (1928), Karl-Willy Wagner (1929) und schließlich 1930 an August Karolus und neben weiteren auch an Theodor Eckert. Dann gab es von dieser Gesellschaft keine Medaillen mehr. Die Heinrich-Hertz-Gesellschaft erhielt 1934 eine neue Satzung und hieß dann „Gesellschaft zur Förderung des Funkwesens e.V.“ Der Name „Heinrich Hertz“ musste in der NS-Zeit wegen dessen jüdischer Abstammung abgelegt werden [10].

2. Aus Anlass des 150-jährigen Bestehens stiftete die Universität Fridericiana, Karlsruhe, zusammen mit dem Badenwerk 1975 eine goldene Heinrich-Hertz-Medaille, die alle drei Jahre für hervorragende Leistungen auf dem Gebiet der Erzeugung, Verteilung und Anwendung elektrischer Energie verliehen werden sollte [15].

3. Die „IEEE Heinrich Hertz Medal“ wurde von 1988 bis 2001 vom amerikanischen Ingenieurverband IEEE an 14 Wissenschaftler verliehen, die sich um die Hochfrequenztechnik verdient gemacht haben. Danach gab es hier wohl auch keine weiteren Medaillen mehr.

4. Die staatlichen Münzen in Baden-Württemberg geben seit 2007 eine Medaillenserie heraus, die Erfinder des Landes ehrt. 2014 war das Heinrich Hertz. Am 19. Februar 2014 wurde dem Vorsitzenden der Heinrich-Hertz-Gesellschaft, Karlsruhe, (die außer dem Namen nichts mit der 1924 in Hamburg gegründeten Heinrich-Hertz-Gesellschaft gemeinsam hat) eine solche Medaille übergeben.

Autor: Peter von Bechen
Dieser Beitrag wurde erstmals veröffentlicht in der Zeitschrift „Funkgeschichte“ Nr. 219 (2015), Publikation der GFGF e. V. (www.gfgf.org), Seiten 14 – 20. Diese Zeitschrift ist nur im Rahmen der GFGF-Mitgliedschaft zu beziehen.

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„Szarotka“: Polnisches Edelweiß /archiv/vonbechen.de/peter/2018/06/09/szarotka-polnisches-edelweiss/ /archiv/vonbechen.de/peter/2018/06/09/szarotka-polnisches-edelweiss/#respond Sat, 09 Jun 2018 18:52:10 +0000 /archiv/vonbechen.de/peter/?p=251 Weiterlesen ]]> In Polen hieß das über Jahre populärste tragbare Röhrenradio der 1950er-Jahre „Szarotka“, zu Deutsch „Edelweiß“. Wie die hübsche Bergblume hat auch dieses Radio seine Wurzeln in den Alpen: Es ist bei Siemens Austria in Wien entwickelt und als Lizenzprodukt von der polnischen Firma ZRK hergestellt worden. Über den Warenaustausch in den sozialistischen Ländern kamen etliche „Zarotkas“ seinerzeit auch in die DDR und erfreuten sich dort großer Beliebtheit.

Das Edelweiß: es gibt wohl kaum etwas, dass Schönheit der Bergwelt und Freude an der Natur besser symbolisiert. Und in den 1950er-Jahren sehnte man sich nach der Natur im Gebirge, und wenn die Menschen in Urlaub fuhren, unternahmen sie Touren in die Berge, wollten aber dabei nicht von dem Geschehen in der Welt abgeschnitten sein. Die Nachfrage nach wirklich tragbaren Radios wurde deshalb immer größer.

Miniaturröhren für kleine Radios

Nachdem in den letzten Kriegsjahren in den USA die siebenpoligen Miniaturröhren in Allglastechnik entwickelt worden waren, kamen diese Anfang der 1950er-Jahre auch nach Europa. Mit den Röhrentypen der D…90er-Serie und den gleichzeitig insbesondere bei Philips entwickelten miniaturisierten Bauelementen (Drehkondensatoren, Filter) ließen sich kompakte Radios bauen, die wirklich „tragbar“ waren und von denen die bis dahin voluminösen „Kofferradios“ abgelöst wurden.

In Deutschland und auch in Österreich entwickelten so gut wie alle Radiohersteller solche Geräte, in der Regel Sechskreissuper mit vier Röhren (typisch: DK92/1R5, DF91/1T4, DAF91/1S5, DL94/3S4). Auch Siemens Austria, Wien, stellte auf der 1953 dort stattfindenden Frühjahrsmesse in dieser Geräteklasse den „Super 541 B“ vor [1] (Bild 1, Schaltung Bild 2).

Bild 1. Die „Mutter“ aller „Graziellas“ und „Szarotkas“: „Super 541 B“, den Siemens Austria 1953 auf der Frühjahrsmesse in Wien vorstellte. Bild aus [1].

Bild 2. Anzeige für das Radio „Graziella“ in der April-Ausgabe der österreichischen Zeitschrift „Radiotechnik“ 1953 [2].

Auch die meisten anderen Radioproduzenten hatten damals ähnliches im Programm, so z. B. Kapsch das Gerät „ABC Weekend 3“. Diese Radios lassen sich sowohl mit Batterien als auch am Stromnetz betreiben. Damit sind sie auch als vollwertige Heimempfänger zu nutzen, ohne im stationären Betrieb die teure Anodenbatterie zu verbrauchen. Der Unterschied zwischen beiden Geräten besteht allerdings darin, dass Siemens die Netzversorgung in einer eigenen Einheit untergebracht hat, auf die sich das Radio im stationären Betrieb einfach aufsetzen lässt. Dabei erfolgt die Umschaltung von Batterie- auf Netzbetrieb automatisch mit Hilfe der im Gerät vorhandenen Kontaktsätze, die von Stiften im Netzgerät betätigt werden. Das integrierte Netzteil des Kapsch-Radios hat den Nachteil, dass man das zusätzliche Gewicht auch im Mobilbetrieb immer mit sich herumtragen muss.

Bild 3. Schaltung der ursprünglichen Version des „Super 541 B“: Noch ohne Abstimmanzeiger DM70, aber schon mit der Umschaltvorrichtung für Netzbetrieb [1].

Vorgängermodell „Super 541 B“

Der in Wien 1953 von Siemens Austria (WSW) präsentierte „Super 541 B“ ist ein handlicher, weniger als 2 kg schwerer Mittelwellenempfänger, der einige Wochen später unter der Bezeichnung „Graziella“ (italienischer Mädchenname, stammt vom lateinischen Wort für Anmut) in Österreich auf den Markt kam [2] und in leicht modifizierter Form, z. B mit Abstimmanzeigeröhre DM70 und unterschiedlichen Farbvarianten bis Anfang der 1960er-Jahre angeboten wurde. Siemens Austria hatte damals ein Lizenzabkommen mit der Warschauer Firma ZRK „Zaklady Radiowe im. M. Kasprzaka“ (Radiowerk Martin Kasprzak, später „Unitra“). ZRK existierte von 1949 bis 1999 und produzierte seinerzeit für den polnischen und Ostblock-Markt Radios ausländischer Hersteller in Lizenz, unter anderem von der schwedischen Firma AGA und in den 1970er-Jahren auch Tonbandgeräte von Grundig. Auf der Basis des Lizenzabkommens begann ZRK die Fertigung 1956 [3] eines mit dem Siemens-Typ „Graziella“ fast identischen Radios, das den Namen „Touristenempfänger Edelweiß“ („Odbiornik turystyczny Szarotka“) (Bild 6) erhielt und im März 1957 erstmals auf der Frühjahrsmesse in Leipzig dem internationalen Publikum präsentiert wurde [4]. Etwa ab 1958 war „Szaraotka“ als offizielles Importgerät auch in der DDR erhältlich, um den damals dort nicht aus eigener Produktion zu deckenden Bedarf an tragbaren Radios zu befriedigen.

Bild 4. 1956 in [3] veröffentlichte „Szarotka“-Schaltung mit den Wellenbereichen LW und MW.

Schaltung mit interessanten Details

Für ein Gerät dieser Jahrgänge mit Röhren der D…90er-Serie weist die Schaltung (Bild 4, Bild 5) zunächst keine Besonderheiten auf. Es ist, wie bereits erwähnt, ein Sechskreissuper mit den vier Röhren 1R5, 1T4, 1S5, 3S4). Erwähnenswert ist die Abstimmanzeige mit dem „Magischen Ausrufungszeichen“ DM70, die nicht in jedem tragbaren Radio jener Jahre zu finden ist. Diese Miniaturröhre wird direkt von der Regelspannung angesteuert: Je stärker das Eingangssignal, um so kürzer ist der angezeigte Strich (Bild 12).

Bild 5. Schaltung „Szarotka 2“mit den Wellenbereichen MW, LW und KW (aus [5]).

An der Rückseite des Gehäuses findet sich eine 4-mm-Buchse zum Anschluss einer externen Drahtantenne. Diese wird beim Empfang im Kurzwellenbereich benötigt.

Eine Sparschaltung lässt sich vom „O – N-Umschalter“ aktivieren, der sich an der Oberseite des Gehäuses unterhalb des Tragegriffes befindet. Hiermit wird die Gittervorspannung der Endröhre so verändert, dass weniger Ruhestrom fließt. In der Stellung „N“ liegt der Anodenstrombedarf des Gerätes bei etwa 13,5 mA, in der Stellung „O“ bei 9,5 mA. Wenn das Gerät mit Netzteil betrieben wird, ist diese Möglichkeit abgeschaltet. Ein Satz Batterien (Anodenbatterie 67,5 V, 2 x Monozelle 1,5 V parallel für die Heizung) reicht für 25 bis 30 Stunden Betrieb. Wenn das Gerät auf dem Netzteiluntersatz steht, wird über einen Widerstand von 68 kΩ auf die Anodenbatterie ein geringer Strom zur „Regenerierung“ geschaltet. Das Netzgerät sollte deshalb dauernd einschaltet bleiben und besitzt aus diesem Grund keinen eigenen Netzschalter.

Bild 6. „Szarotka 2“ des Verfassers auf dem Netzteiluntersatz.

Bild 7. Innenansicht „Szarotka 2“: rechts unten der Halter für die zwei Monozellen (Heizung) und links daneben der Platz für die Anodenbatterie.


Bild 8. Das ausgebaute Chassis des „Szarotka 2“-Radios von der Unterseite.

Interessant ist Konstruktion des Netzteils (Bild 9). Es gibt in der ersten Ausführung zwei identische Netztransformatoren, die je nach Netzspannung (120 oder 220 Volt) parallel oder in Reihe geschaltet werden. Der Grund dafür ist wohl, dass ein größerer Transformator zu hoch für den Untersatz des Radios gewesen wäre (Bild 10). In einer späteren Version gab es nur noch einen Transformator, und an Stelle der Selengleichrichter wurden hier Germaniumdioden (Typen DZG1 bzw. DZG7) verwendet (Bild 11).

Bild 9. Netzteiluntersatz, Version 1: Die beiden weißen Stifte betätigen die Kontaktsätze zur Umschaltung von Batterie- auf Netzbetrieb, wenn das Gerät aufgesetzt wird.

Bild 10. Innenansicht des Netzeiluntersatzes: Rechts die beiden Netztransformatoren, links die Drossel für die Heizspannung. Der linke Selengleichrichter dient als Spannungsbegrenzer. Der wird meistens hochohmig und damit heute wirkungslos. Um die Röhrenheizungen nicht zu gefährden, empfiehlt es sich, zwei Siliziumdioden (1N4001 o. ä.) in Reihe parallel zu schalten (im Isolierschlauch unter dem linken Elko).

Bild 11. Schaltung des Netzteils Typ 2, der zur „Szarotka 3“ gehört. Es gibt nur noch einen Netztrafo, keine Drossel, und die Gleichrichter sind Germaniumdioden.

Im Laufe der Jahre wurden am Radio verschiedene kleinere Änderungen vorgenommen. So gab es die Versionen „Szarotka“, „Szarotka 2“ und „Szarotka 3“, die sich insbesondere in den Empfangsbereichen unterscheiden: Während die österreichische „Grazietta“ nur die MW-Frequenzen empfängt, ist das polnische „Szarotka“-Radio in der ersten Version mit den Bereichen MW und LW (Bild 13) sowie später auch MW, LW und KW (25-m-Band) ausgestattet. Die Umschaltung erfolgt mit Tasten auf der Geräteoberseite. Die elfenbeinfarbenen Gehäuse waren auf der Frontseite zunächst mit senkrechten, schmalen, später mit waagerechten, breiten Zierrippen versehen. Es gab auch Geräte in grünen (Bild 16) und roten Gehäusen, die sind aber seltener. Als Zubehör wurde eine Ledertasche angeboten (Bild 15).

Bild 12. Links neben der Skala die Abstimmanzeige mit dem „Magischen Ausrufungszeichen“ DM70.

Bild 13. Skala eines „Szarodka“-Radios mit zwei Wellenbereichen (LW und MW)

Bild 14. Schwachpunkt: Die in Kunststoff eingepressten Gewindebuchsen für die Lautsprecherbefestigung brechen leicht ab. Wenn diese noch vorhanden sind, lassen sie sich mit Kunststoffkleber wieder befestigen.

Bild 15. Die Ledertasche als Zubehör.

Teiltransitorisierte „Szarotka“

Beim der Firma ZRK gab es schon recht früh die Überlegung, tragbare Radios zu transistorisieren. Weil damals preisgünstige HF-Transistoren nicht zur Verfügung standen, ließ sich ein vollständig transistorisiertes Gerät noch nicht zu einen konkurrenzfähigen Preis produzieren. ZRK entwickelte ein Hybridgerät, dessen HF-Stufen mit Röhren und die NF- und Endstufe mit Transistoren bestückt sind. Um die teure Anodenbatterie einzusparen, baute man noch einen Transistor-Inverter ein, der aus den 6 Volt der vier Monozellen die Anodenspannung erzeugt. Dieses Gerät wurde 1958 auf der internationale Messe in Poznań dem Publikum präsentiert. Weil dann die Röhren im HF-Teil doch bald von Transistoren verdrängt wurden, gab es nur eine Vorserienproduktion. Die Massenfertigung dieses Typs ist nie aufgenommen worden, deshalb sind dieses Geräte heute auch nur noch äußerst selten zu finden. Zu erkennen ist die Hybrid-Version äußerlich an dem ovalen Lautsprecherausschnitt (Bild 17) [8].

Bild 16. „Szarotkas“ gibt es auch in grünem und rotem Gehäuse. Hier auf einer ZRK-Firmenschrift abgebildet.

Bild 17. Das teiltransistorisierte „Szarotka“-Radio wurde 1958 vorgestellt, kam aber über die Vorserienproduktion nicht hinaus [8].

Restaurierung

„Szraotka“-Radios sind heute noch gut erhältlich, in Polen z. B. auf im Internet-Auktionshaus www.allegro.pl. Sie werden dort je nach Zustand mit Netzgerät für Preise angeboten, die zwischen weniger als100 (25 Euro) und etwa 300 Sloty (etwa 75 Euro) liegen. Auch auf Flohmärkten sind sie zu finden, nicht nur in Polen, manchmal auch im Osten Deutschlands im grenznahen Bereich. Es lohnt sich auf jeden Fall, die sammelnswerten „Szarotka“-Radios zu restaurieren, denn die Geräte sind im Grund solide gebaut.

Schwachpunkte sind die Filter: Es ist allseits bekannt, dass die Kerne der verwendeten Philips-Miniaturfilter sich von den Verstellschrauben lösen und in den Abschirmbecher fallen. Die ZF liegt frequenzmäßig daneben und lässt sich nicht mehr abgleichen. Hier hilft nur ein Ausbau der Filter, Versuch der Reparatur (Einkleben der Ferritkerne) oder Komplett-Austausch. Deshalb sollte man an den Filtern möglichst nicht drehen, solange der ZF-Abgleich einigermaßen stimmt. Ein weiterer kritischer Punkt ist, dass die Selengleichrichter im Netzteil nach vielen Jahren hochohmig geworden sind. Die im Längszweig liegenden Gleichrichterstrecken sind weniger kritisch, denn deren Alterung sorgt lediglich für zu geringe Spannung. Gefährlich für die Heizfäden wird es allerdings, wenn der Selengleichrichter am Heizspannungs-Ausgang hochohmig wird Er dient der Spannungsbegrenzung. Im Gerät des Verfassers standen hier im Leerlauf 8,5 Volt an – absolut tödlich für die Heizfäden der Batterieröhren. Zwei Si-Dioden (1N4001 oder SY360/1) in Reihe in Flussrichtung nach Masse parallel zum Selengleichrichter geschaltet sorgen dafür, dass die Heizspannung des Netzteils auch im Leerlauf auf nicht mehr als 1,5 Volt ansteigt.

Schwachpunkt der Mechanik ist die Befestigung des Lautsprechers: Die in die Gehäuseschale eingepressten Gewindebuchsen brechen gerne mitsamt der Kunststoffnasen ab (Bild 14). Wenn man Glück hat, finden sie sich noch im Gehäuse und lassen sich mit Kunststoffkleber wieder befestigen. Wenn sie verloren sind, muss man mit Zweikomponenten- oder Heißkleber (Vorsicht!) eine neue Befestigung „basteln“.

Die Wellenbereichstasten neigen nach den vielen Jahren dazu, nicht mehr sauber einzurasten. Hier muss der Einrastmechanismus überprüft und gegebenenfalls repariert werden, der erst zugänglich ist, wenn Chassis und Skala ausgebaut sind.

Das Gehäuse aus thermoplastischem Kunststoff ist nach vielen Jahren oft vergilbt oder von einer zähen Schmutzschicht überzogen. Diese sollte man nur mit milden Reinigungsmitteln entfernen (Wasser mit ein wenig Spülmittel, aber auf keinen Fall Aceton, Nitroverdünner oder ähnliches), sonst ist die Oberfläche unwiederbringlich dahin.

Wenn alles wieder richtig funktioniert und aufpoliert ist, hat man ein schmuckes kleines Radio, das sich – wie eine Edelweißpflanze – durchaus sehen lassen kann.

Quellen

[1] Biebl, H.: Siemens Austria Super 541 B. Radiotechnik (Österreich) 1953, Heft 3, Seiten 77 – 80.

[2] o. V.: Anzeige in der Zeitschrift „Radiotechnik“ (Österreich) 1953, Heft 4, Seite 114.

[3] Die Schaltung des Gerätes wurde in der polnischen Zeitschrift „Radioamator“ 1956, Heft 10 vorgestellt (siehe http://www.fonar.com.pl/audio/schematy/radioamator/1956_10_1.htm)

[4] o. V.: Bericht von der Leipziger Frühjahrsmesse 1957. Radio und Fernsehen 1957, Heft 7, Seite 199.

[5] o. V. Deutschsprachige Bedienungsanleitung „Szarotka 2“von ZRK.

[6] Trusz, W., Dombrowicki, J., Radio i telewizja w domu, Wydawnictwa Komunikacyjne, wydanie 1, Warszawa, 1958

[7] http://oldradio.pl

[8] http://pl.wikipedia.org/wiki/Szarotka_(radioodbiornik).

Autor: Peter von Bechen

Der Beitrag wurde erstmals veröffentlicht in der Zeitschrift „Funkgeschichte“ Nr. 206 (2012), Publikation der GFGF e. V. (www.gfgf.org), Seiten 210 – 215. Diese Zeitschrift ist nur im Rahmen der GFGF-Mitgliedschaft zu beziehen.

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„Bergkamerad“ „Küchenfee“ und „Mimikry“ /archiv/vonbechen.de/peter/2017/02/07/bergkamerad-kuechenfee-und-mimikry/ /archiv/vonbechen.de/peter/2017/02/07/bergkamerad-kuechenfee-und-mimikry/#respond Tue, 07 Feb 2017 08:05:53 +0000 /archiv/vonbechen.de/peter/?p=207 Weiterlesen ]]> Die Geschichte der Firma MIRA

Die 1950er- und 1960er-Jahre waren das goldene Zeitalter der Radiobastler. Zahllose Firmen wie Arlt, Conrad, RIM, Holzinger und andere versorgten die Selbstbauer mit Teilen sowie Bausätzen. Heute existieren die meisten nicht mehr. Klein, aber fein waren die Radios und Bausätze des Nürbergers Konrad Sauerbeck. Die von ihm gegründete Firma „MIRA Elektronik“ existiert heute noch, und der Autor dieses Artikel hatte im Jahr 2005 die Gelegenheit, mit ihm über die frühen Jahre des Unternehmens zu sprechen.

Der gebürtige Franke Konrad Sauerbeck (16.02.1921 – 05.12.2015) interessierte sich schon von Jugend an für das damals noch neue Gebiet der Radiotechnik. „Ich war ein schlechter Schüler,“ gab er selbst zu. So kam es, dass er 1937 nach der 5. Klasse der Realschule eine Lehre bei der AEG im Bereich Schalttafelbau in Nürnberg begann. Sein Wunschtraum, in eine Radiowerkstatt zu kommen, erfüllte sich damals allerdings nicht. Auch der Traum vom Besuch der Berufsoberschule mit dem Ziel, das Abitur zu machen, war spätestens 1940 beendet, als er zum Militär eingezogen wurde. Weil Konrad Sauerbeck aktiver Segelflieger war, kam er zur Luftwaffe. Dort versah er seinen Dienst als Bordelektriker in einer der großen sechsmotorigen Maschinen der „Lufttransportstaffel See“ (Flugboote). „Dort waren fast alles ehemalige Lufthanseaten – prima Kerle!“ schwärmte er noch Jahre danach. Als die Flugzeuge bei einem feindlichen Luftangriff bei Biscarrosse südlich von Bordeaux auf dem Wasser zerstört worden waren – zum Glück ohne Menschenverluste – befürchtete er, dass die Einheit zum Erdeinsatz auseinander gerissen würde.

Bild 1. Konrad Sauerbeck (16.02.1921 – 05.12.2015) war auch im hohen Alter noch aktiv im Geschäft seines Sohnes tätig (Bild von 2005).

Sauerbeck schrieb nach Berlin, dass er zur Zeit nicht entsprechend seiner Fähigkeiten eingesetzt werde. Darauf wurde er nach Adlershof bei Berlin beordert, wo Ingenieure für die Funkmesstechnik (heute Radar) ausgebildet wurden. Nach einer kurzen Beurteilung seiner Eignung wurde er zur Ausbildung an Funkmessgeräten abgestellt. Nach Abschluss der Ausbildung kam er zunächst nach München und dann nach Memmingen, wo er zusammen mit zwei Mitarbeitern eine Prüf- und Reparaturstation für die damals neuartige Funkmesstechnik aufbaute. Die dafür erforderlichen Prüfgeräte konstruierte er teilweise selbst.

Traum vom eigenen Radiogeschäft
Während dieser Zeit baute er sich auch einen kleinen Empfänger mit drei RV12P2000, der speziell auf die LW- und MW-Frequenzen der Luftlagesendungen abgestimmt war. „So wusste ich schon immer ziemlich früh, wo Bombenangriffe zu erwarten waren.“ Es handelte sich um einen Einkreiser mit aperiodischer Vorstufe und NF-Endstufe. Das Gerät war für Netzbetrieb ausgelegt. Irgendwie schaffte es Sauerbeck, dieses kleine Radio auch über das Chaos der Kriegsendes und der kurzen Gefangenschaft bei den Amerikanern hinüber zu retten.
Im Sommer 1945 kam er zurück nach Nürnberg und fand dort wieder Arbeit bei der AEG, Abteilung Schalttafelbau. Allerdings träumte Sauerbeck von der Arbeit in einer Radiowerkstatt, möglichst der eigenen. Viele Radios waren nach dem Krieg reparaturbedürftig, und die Menschen in den tristen Trümmerwüsten deutscher Städte sehnten sich nach ein wenig Unterhaltung. Der Bedarf war groß, doch der Amtsschimmel stand seinem Ansinnen entgegen. Für ein eigenes Radiogeschäft mit Reparaturwerkstatt hätte er einen Meisterbrief gebraucht, aber sein im Krieg bei der Luftwaffe erworbener Titel als „Prüfmeister“ war in der Handwerksordnung als Beruf nicht vorgesehen.
Trotzdem: Sauerbeck begann Radios zu reparieren, zwar nicht im eigenen Geschäft, sondern als Dienstleistung für andere Radiogeschäfte, die ihre Arbeit damals kaum bewältigen konnten. Seine Erfahrungen, die er mit den viel komplizierteren Funkmessgeräten gesammelt hatte, waren dabei nützlich. Er hatte sich dabei eine systematische Arbeitsweise angeeignet, die schnell zum Ziel führte. „Ich habe sehr schnell repariert,“ berichtete Sauerbeck mit Stolz. „Das hat sich bei den Radiogeschäften, für die ich gearbeitet habe, bald herumgesprochen.“

Die eigene Radioproduktion

Bild 2. Funktioniert noch: Der „Bergkamerad“, den GFGF-Mitglied Frederico Biesele auf dem Flohmarkt in Basel gekauft hat. (Bild: F. Biesele)

Wie schon erwähnt, war nach dem Krieg der Bedarf an Radios sehr groß, die Nachfrage konnte kaum erfüllt werden. Die Besatzungsmächte erlaubten zunächst keine industrielle Radioproduktion. Wer konnte, baute sich deshalb sein Radio selbst. Max Grundig verkaufte seinen „Heinzelmann“ als Bausatz in großen Stückzahlen.

Bild 3. Blick ins Innere: Der rote Lack auf den Lötstellen zeigen, dass es sich um ein Fertiggerät handelt, das noch „unberührt“ ist. (Bild: F. Biesele)

Auch Konrad Sauerbeck dachte darüber nach, Radios zu konstruieren und produzieren. Schließlich war sein P2000-Radio eine solide Konstruktion, die sich auch unter rauen Bedingungen bewährt hatte. Doch bis zur eigenen Radioproduktion im Hause Sauerbeck sollten noch ein paar Jahre vergehen.

Bild 4. Hier sind die eingesetzten Batterien zu erkennen. (Bild aus [1])


Als passionierter Bergwanderer hatte Sauerbeck schon immer den Wunsch, ein kleines handliches Radiogerät auf seinen Touren mitzunehmen, das es erlaubt, unterwegs den aktuellen Wetterbericht abzuhören. Kofferradios waren damals noch groß und schwer und außerdem auf Berghütten nicht gern gesehen.

Bild 5. Liebe zum Detail: K. Sauerbeck lieferte präzise Konstruktionszeichnungen zu seinen Bauanleitungen (Bild aus [1])


Ein solch kleines Gerät gab es damals noch nicht. So machte sich Sauerbeck an die Entwicklung. Heraus kam ein Kopfhörer-Reflex-Empfänger mit zwei Miniaturröhren, nicht größer als die berühmte quadratische Schokoladentafel. An dem Gerät wurde eine Kopfhörermuschel angeschlossen. Die Empfangsleistung dieses Taschengerätes war erstaunlich gut, ein kleines Stück Draht als Antenne reichte aus, um klaren Empfang des lokalen MW-Senders zu gewährleisten (Bilder 2 – 6).

Bild 6. Erstaunlich empfindlich: Der Bergkamerad ist ein Reflex-Einkreiser mit Miniaturröhren. (Bild aus [1])

Marketing, aber wie?
Aber wie sollte Konrad Sauerbeck sein Taschenradio unter die Leute bringen? „Ich war damals ein guter Techniker, hatte aber von Marketing keine Ahnung,“ gesteht er heute. Hilfe kam von einem guten Freund des Hauses. „Er hat mir geraten, für das Gerät Werbung zu machen. Und er hatte auch gleich eine praktische Lösung.“ In Nürnberg war 1952 eine Erfindermesse. Sein Bekannter ging davon aus, dass dort auch Vertreter der Presse anwesend sein werden. „Denen mussten wir das Gerät vorstellen.“
Aber zunächst musste das Kind einen griffigen Namen haben. Die Ehefrau brachte ihn auf die richtige Idee: Wie schon erwähnt war Sauerbeck begeisterter Bergwanderer und deshalb natürlich Leser des damals populären Magazins „Bergkamerad“. Dieser Name passte natürlich auch hundertprozentig für sein Taschenradio, das wie ein Bergkamerad treuer und zuverlässiger Begleiter auf seinen Touren sein sollte. Und damit man wusste, dass es sich dabei nicht einen Menschen handelt, sondern um ein Radio, stellte man das Wort „Miniaturradio“ davor. Das wiederum wurde zu „MIRA“ zusammengefasst, und damit war gleichzeitig auch der zukünftige Firmenname kreiert, den das Sauerbecksche Unternehmen auch heute, nach über 60 Jahren, trägt.
Auf der Erfindermesse waren tatsächlich Journalisten, die nach spektakulären Ausstellungsstücken Ausschau hielten. So auch Fritz Kühne, seines Zeichens Funkschau-Redakteur, der vom „MIRA Bergkamerad „sofort begeistert war. Er sorgte dafür, dass Anfang 1953 in der populären Radiotechnik-Zeitschrift „Funkschau“ dieses Gerät in Form einer ausführlichen Bauanleitung vorgestellt wurde [1]. Auch andere Publikationen brachten mehr oder weniger lange Artikel vom „Bergkamerad“.

Bild 7. Werbeflyer für den „Bergkamerad“. (Bild anklicken, um die komplette Original-Bauanleitung zu öffnen!)

Das führte zu einer schnellen Nachfragebelebung. „Ich habe dann die Fertigung der Teile und der Geräte mit Hilfe von Studenten der hiesigen Ingenieurschule organisiert.“ Verkauft wurden nämlich nicht nur Bausätze (Preis inkl. Röhren, aber ohne Hörer und Batterien: 28,45 DM), sondern auch Fertiggeräte, die inkl. Hörer 44 DM kosteten. „Wir haben insgesamt mehr als 4.000 Stück verkauft,“ berichtete Sauerbeck nicht ohne Stolz. Bei den Fertiggeräten wurde auf die Lötstellen ein farbiger Lacktropfen gepinselt, damit man sie bei eventuellen Reklamationen von den Bausatzgeräten unterscheiden konnte (Bild 7).

Durchdachte Konstruktion
Bei der Funkschau-Bauanleitung des „Bergkamerad“ fällt die saubere, bis ins letzte Detail durchdachte Konstruktion auf, die in präzisen Zeichnungen dokumentiert ist. Hier machte sich die gründliche Ausbildung bemerkbar, die Sauerbeck beim AEG-Schalttafelbau mitbekommen hatte. Dass zu einem guten Gerät nicht nur die elektrische Schaltung, sondern auch die saubere mechanische Ausführung dazugehört, hatte er dort gelernt. Auch bei den späteren Sauerbeckschen Konstruktionen, die in den Zeitschriften „Funkschau“ und „Funk-Technik“ veröffentlicht wurden, ist dies der Fall.
Kurz nach der Beschreibung des „Bergkamerad“ erschien in der „Funkschau“ ein Artikel über den „Bergkamerad L“ [2]. Hierbei handelt es sich um ein Zusatzgerät, mit dem man aus dem Taschenempfänger ein vollständiges Kofferradio mit Lautsprecher machen konnte. Eine Batterie-Endröhre DL92 und eine klobige 75-Volt-Anodenbatterie sorgten für die notwendige Ausgangsleistung. Als Besonderheit besaß das Gerät eine ausziehbare Antenne, für die ein Stahl-Bandmaß hergenommen wurde. „Teleskopantennen gab es damals noch nicht,“ erklärte Sauerbeck.

Die „Küchenfee“
Zu den interessanten Sauerbeck-Geräten gehört zweifellos die ebenfalls in der „Funkschau“ beschriebene „Küchenfee“ [3] (Bilder 8, 9). Dieses Gerät ist ein netzbetriebener Einkreiser mit zwei Miniaturröhren, der an die Wand gehängt wird. Eine Begründung dieser ungewöhnlichen Bauform findet man in der Einleitung des Artikels: „In vielen Küchen bereitet die Aufstellung eines Radiogerätes infolge Platzmangels Schwierigkeiten.“ Die Verhältnisse in den Wohnungen der Nachkriegszeit waren einfach sehr beengt.

Bild 8. Die „Küchenfee“: Nicht die junge Dame rechts, sondern das Radio an der Wand! (Bild aus [3])


Das Gehäuse besteht aus lackierter Pappe. Auch diese Bauanleitung besticht durch seine in allen Details exakt dokumentierte Konstruktion. Wie viele dieser Geräte von den Kunden gebaut wurden, ist unbekannt, denn von der formschönen Küchenfee gab es weder einen Bausatz noch Fertiggeräte. Im Gegensatz zum Bergkamerad ist bisher in Sammlerkreisen noch keine Küchenfee gesichtet worden (falls doch irgendwo noch ein solches Gerät existiert, würde der Autor sich über eine kurze Nachricht freuen).

Bild 9. Schaltung der „Küchenfee“: Einkreiser mit Miniaturröhren. (Bild aus [3])

Immer kleiner…
Konrad Sauerbeck hatte immer neue Ideen. Als nächstes musste es ein Taschensuper sein Mitte 1954 beschrieb die Funkschau seinen „MIRA Mimikri“ (Bilder 10, 11) [4] (Dieser Begriff kommt aus dem Griechischen und bedeutet „der Nachahmung fähig“. In der Biologie bezeichnet man damit Lebewesen, die ihre Umwelt, insbesondere ihre Feinde, täuschen, um sich vor ihnen zu schützen.)

Bild 10. Klein, aber oho: Der „MIRA Mimikry“, ein Batterieröhren-Super. (Bild aus [4])


Das Gerät arbeitet mit vier Batterie-Miniaturröhren der D92er-Serie und entspricht im Großen und Ganzen der damals üblichen Standard-Schaltungstechnik. Als Besonderheit lässt sich auf der Rückseite des Gerätes ein gleich großes Gehäuse aufstecken, in dem sich das Netzteil befindet.

Bild 11. Schaltung des „MIRA Mimikry“. (Bild aus [4])


Ebenfalls 1954 erscheint in der Funk-Technik die Beschreibung des „Kleinstempfängers MIRA Piccolino“ [5] (Bild 12). Hierbei handelte es sich wieder um einen netzbetriebenen Einkreiser, in dem zwei Miniaturröhren vom Typ HF94 bzw. 12AU6 arbeiten. Das Besondere an diesem Gerät ist der Kristall-Lautsprecher KL75, der damals von der Firma Welas hergestellt wurde und beachtliche 11 DM im Einzelverkauf kostete. Dieser brachte lediglich 55 g auf die Wage und wog damit ein Bruchteil der bisher üblichen dynamischen Lautsprecher. Konstruktiv interessant ist, dass die Lautsprecherabdeckung als Drehknopf für die Senderwahl dient. Das Gerät kommt deshalb ohne aufwändige Mechanik für die Skala aus. So ließen sich Gehäuseabmessungen von unter 100 x 100 x 55 mm³ erreichen, was wohl die unterste Grenze für ein Radio mit Standard-Miniaturröhren ist. Sauerbeck machte hier seinem Firmennamen „MIRA – Miniaturradio“ volle Ehre.

Bild 12. „Kleinstempfänger MIRA Piccolino“. Den Sender wählt man durch Drehen der Lautsprecherabdeckung. (Bild aus [5])



Transistoren: Die Röhren-Ära geht zu Ende

Anfang der 1960er-Jahre kamen die ersten „bezahlbaren“ Transistoren auf den Markt. Sauerbeck war natürlich an den winzigen „Dreibeinern“ interessiert, denn damit lassen sich kleinere Radios als mit Röhren bauen. Zunächst versuchte er, den erfolgreichen Bergkamerad auf Transistoren umzustellen. Doch für die Reflexschaltung waren die damals erhältlichen Transistoren zunächst noch nicht geeignet.
Die seinerzeitigen Germaniumtransistoren wiesen in der Produktion weite Toleranzen in ihren elektrischen Werten auf, so dass bei den Herstellern in große Mengen Ausschuss anfiel, der nicht den in den Datenblättern vorgegebenen Spezifikationen entsprach. Solche Transistoren sind aber trotzdem durchaus brauchbar, man muss sich nur die Mühe machen, diese auszumessen und für den jeweiligen Verwendungszweck zu klassifizieren.

Bild 13. Die OX-Transistoren aus dem Hause MIRA. (Aus [7])


Konrad Sauerbeck konnte Anfang der 1960er-Jahre bei der Firma TeKaDe in Nürnberg große Mengen unspezifizierte Transistoren kaufen. „In Putzeimern habe ich die ins Geschäft geschleppt und dann ausgemessen,“ berichtete Sauerbeck. Die für gut befundenen Exemplare bekamen dann „ordentliche“ Typenbezeichnungen, z. B. war der „OX4005“ ein HF-Transistor ähnlich OC44, der „OX7005“ entsprach dem OC71 und der „OX7021“ war dem Kleinleistungstyp OC72 ähnlich. Auch eine eigene Diodentype hatte Sauerbeck im Programm: Die „AX105“ entsprach der bewährten OA81 (Bild 13).
Bei MIRA gab es in dieser Zeit ein Bastelheft, das Sauerbeck selbst produzierte. Es beschreibt Schaltungen vom Diodenradio ohne und mit ein-, zwei- oder mehrstufigen Transistorverstärkern für Ohrhörer oder Kleinlautsprecher, die in elfenbeinfarbenen Plastikgehäusen im Seifendosenformat eingebaut werden können.

Bild 14. MIRA-Radios jetzt mit Transistoren: der „RT47“. (Bild aus [6])


1963 erschien dann in der Funkschau die Beschreibung des Transistor-Taschenempfängers „RT47“ (Bild 14) [6]. Bei diesem Gerät funktionierte die Reflexschaltung (Bild 16), weil der Transistor, der HF und NF verstärken muss, die nötige Grenzfrequenz aufweist. Das leistungsfähige Gerät kommt mit nur drei Transistoren aus. Als zeitgemäße Konstruktion ist das Innenleben des RT47 auf einer gedruckten Schaltung aufgebaut (Bild 15).

Bild 15. Das Innenleben ist auf einer gedruckten Schaltung montiert. (Bild aus [6])

Bild 16. Das Transistorradio „RT47“ arbeitet mit drei Transistoren in Reflexschaltung. (Bild aus [6])

Möglichst klein: SMD-Technik
In den 1970er- und 198er-Jahren neigte sich das goldenen Zeitalter des Radiobastelns langesam dem Ende entgegen. Konrad Sauerbeck verlegte sich auf die Bauelemente-Distribution. Inzwischen kümmert sich sein Sohn, der Elektronikingenieur ist, um das Geschäft. MIRA Electronic hat sich auf oberflächenmontierbare Bauelemente spezialisiert und hat einen treuen Kundenstamm in der Industrie und bei Bildungseinrichtungen. „Miniaturradios machen wir keine mehr,“ sagte Konrad Sauerbeck, „aber das, was wir heute verkaufen, ist so klein wie möglich.“ Auch privat war er im hohen Alter noch von miniaturisierter Technik fasziniert. Eines seiner Hobbys war das Fotografieren. Er besaß deshalb auch eine winzige Digitalkamera, mit denen man fantastische Aufnahmen machen kann.

Was sonst noch bleibt
Nicht nur die Firma MIRA existiert noch, auch der legendäre „Bergkamerad“ ist nicht gänzlich in Vergessenheit geraten: Wenn auch Originalgeräte äußerst selten geworden sind (und deshalb auf den einschlägigen Versteigerungsplattformen Höchstpreise erzielen), sind sie in der Radiobastler-Gemeinde nicht in Vergessenheit geraten. So gibt es in der GFGF-Zeitschrift „Funkgeschichte“ Artikel über Nachbauten, die sich durchaus sehen (und hören) lassen können [8, 9].

Autor: Peter von Bechen
Der Beitrag wurde erstmals veröffentlicht in der Zeitschrift „Funkgeschichte“ Nr. 165 (2006), Publikation der GFGF e. V. (www.gfgf.org), Seiten 14 – 21. Diese Zeitschrift ist nur im Rahmen der GFGF-Mitgliedschaft zu beziehen.

Literatur:
[1] Sauerbeck, K.: Taschenempfänger Bergkamerad. Funkschau 1953, Heft 1, Seiten 9 und 10.
[2] Sauerbeck, K.: Bergkamerad L. Funkschau 1953, Heft 3, Seiten 45 und 46.
[3] Sauerbeck, K.: MIRA Küchenfee – Preiswerter Einkreiser in neuartiger Gehäuseform. Funkschau 1953, Heft 14, Seiten 253 und 254.
[4] Sauerbeck, K.: MIRA-Mimikry – Kleiner Taschensuper für Lautsprecherempfang. Funkschau 1954, Heft 11, Seiten 221 bis 224.
[5] Sauerbeck, K.: Kleinstempfänger „MIRA Piccolino“. Funk-Technik 1954, Heft 6, Seiten 156 und 157.
[6] Sutaner, H.: Transistor-Taschenempfänger RT 47 für Mittelwellen. Funkschau 1963, Heft 4, Seiten 101 und 102.
[7] Schwärzler, R.: Der Radio-Bastler. Ravensburger Reihe „Werk und Spiel“. Otto Meier Verlag Ravensburg.
[8] Böge, N.: „Bergkamerad“ fast wie vor 60 Jahren. Funkgeschichte H. 213 (2014), S. 35 – 39.
[9] Rasshofer, R.: „Bergkamerad P700 KW“. Funkgeschichte H. 219 (2015), S. 28 – 31.

So kam es zu diesem Beitrag
Der Autor dieses Beitrages erinnerte sich, dass er in den 1960er-Jahren Teile für „Seifendosenradios“ bei einer Firma „MIRA, Konrad Sauerbeck“ in Nürnberg bezogen hatte und dass er in „Funkschau“- und „Funk-Technik“-Ausgaben der 1950er-Jahre auch schon auf den Namen K. Sauerbeck als Verfasser von Radio-Bauanleitungen gestoßen war. Im Jahr 2005 ergab eine Recherche im Internet, dass es die Firma „MIRA“ unter der gleichen Adresse wie früher auch noch heute gibt (www.mira-electronic.de). Dort war zu erfahren, dass Konrad Sauerbeck, der inzwischen verstorben ist, damals noch aktiv war. Mit seinerzeit 84 Jahren „schaffte“ dieser sehr agile, alte Herr, dem man sein Alter nicht ansah, zusammen mit seinem Sohn bei der Firma „MIRA Elektronik“, dem Elektronik-Versand, der sich heute auf SMD-Bauelemente spezialisiert hat. Konrad Sauerbeck nahm sich 2005 die Zeit für ein Gespräch mit dem Autor, um seine Geschichte zu erzählen.

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44 Tage „Blue Tiger Radio“ /archiv/vonbechen.de/peter/2015/02/01/44-tage-blue-tiger-radio/ /archiv/vonbechen.de/peter/2015/02/01/44-tage-blue-tiger-radio/#respond Sun, 01 Feb 2015 17:59:35 +0000 /archiv/vonbechen.de/peter/?p=175 Weiterlesen ]]> Münchener Piratensender in den 1960er-Jahren

Obwohl in Deutschland der Betrieb von Radiosendern schon seit seiner Frühzeit gesetzlich streng reguliert war, gab es auch immer wieder Zeitgenossen, die sich über die einschlägigen Vorschriften hinwegsetzen und aus unterschiedlichen Motivationen illegal „in die Luft“ gingen. In den 1960er-Jahren hatten Piratensender Hochkonjunktur und natürlich auch die Peiltrupps des FTZ. Der Autor sprach mit einem damaligen Münchener „Piratenfunker“.

München in den 1960er-Jahren: Das Musik- und Unterhaltungsprogramm des Bayerischen Rundfunks entsprach zum überwiegenden Teil ganz und gar nicht dem Geschmack der Jugend, die eher auf Pop- und Rockmusik von Beatles, Rolling Stones und Co. stand. Alternativen zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk gab es damals kaum – außer den Sendern der Besatzungstruppen („AFN“ der amerikanischen oder in NRW „BFBS“ der britischen Armee). Private Rundfunkanbieter wurden erst viel später zugelassen.

Beatles statt Jodelmusik
Kein Wunder, dass in dieser Zeit immer wieder junge Leute auf die Idee kamen, mit eigener Technik und einem nach eigenem Geschmack zusammengestellten Programm auf Sendung zu gehen. Klaus-Peter Schulze, Jahrgang 1952, und seine drei Klassenkameraden Peter, Donald und Harald aus dem nördlichen Münchener Stadtteil Moosach gehörten zu den seinerzeit nicht wenigen „Funkpiraten“, die diese Idee in die Tat umsetzten. Es war nicht schwer, die nötigen technischen Fachkenntnisse zu erwerben. Schulze hatte bei der Bundespost gerade eine Lehre als Fernmeldetechniker begonnen. Das reichte allerdings noch nicht, um einen funktionierenden Sender zu bauen. „Ich hatte schon ein paar Jahre vorher Interesse an Elektronik und habe als Elfjähriger bereits Radios gebastelt. Das nötige Wissen über Radio- und Hochfrequenztechnik stammte aus den Büchern von Heinz Richter, Werner W. Diefenbach, Karl Schultheiß, Hans Sutaner (der eigentlich „Renatus“ hieß) und den anderen damals populären Autoren der Radiotechnik-Bücher, die ich mir in der Stadtbücherei ausgeliehen hatte“, erzählt Schulze. Die erforderlichen Bauteile gab es in München am Marienplatz bei Radio Holzinger (heute ist hier eine Filiale der Deutschen Bank). „Im ersten Stock gab es alles, was das Herz des Radiobastlers höher schlagen ließ: Kondensatoren, Widerstände, Trafos, Drehkondensatoren. Und das alles zu günstigen Preisen. Mein Taschengeld war ja schließlich nur sehr knapp bemessen.“ Bei Radio RIM am Hauptbahnhof hat Schulze nicht so gerne eingekauft. „Das war damals der teurere Laden. Und die Verkäufer haben immer so ,gscheit´ getan.“

Bild 1. Das Moosacher Sendepiratenquartett 1968: ganz links Klaus-Peter Schulze (mit Kopfhörer und einer 807 in der Hand, die heute in seinem KW-Sender noch ihren Dienst verrichtet), daneben Peter, Donald und Harald. Zu seinen damaligen Freunden hat Schulze heute keine Verbindung mehr und kann über sie auch leider nichts mehr berichten.  (Ausriss aus BRAVO vom 15. April 1968 [1] © Bauer Media Group)

Bild 1. Das Moosacher Sendepiratenquartett 1968: ganz links Klaus-Peter Schulze (mit Kopfhörer und einer 807 in der Hand, die heute in seinem KW-Sender noch ihren Dienst verrichtet), daneben Peter, Donald und Harald. Zu seinen damaligen Freunden hat Schulze heute keine Verbindung mehr und kann über sie auch leider nichts mehr berichten.
(Ausriss aus BRAVO vom 15. April 1968 © Bauer Media Group [1])


1 Watt HF-Leistung auf der Antenne
Anfang Februar 1968 war der Sender fertig. Der bestand aus einem freilaufenden Oszillator mit EC92 und einer HF-Endstufe mit EL84, die etwa 1 Watt HF-Leistung auf die Antenne brachte. Das ganze war auf ein offenes U-förmig gebogenes Aluminiumchassis von etwa 20 cm Länge montiert. Moduliert wurde der Oszillator mit der NF auf einer Kapazitätsdiode im frequenzbestimmenden Kreis des Steuersenders. „Das lief alles erstaunlich stabil, und die Qualität der Modulation war ausgezeichnet.“ Als Antenne diente eine Fernsehantenne für Band I, deren Elemente verkürzt wurden, um sie an die Sendefrequenz von 101,5 MHz anzupassen. „Die Abstimmung der Endstufe auf die Antenne erfolgte ganz klassisch mit der Lämpchen-Methode.“ Die Reichweite das Senders kontrollierte das Quartett, in dem man das Stadtgebiet mit einem Kofferradio „abklapperte“. „Unser ,Radio Moosach´ war eigentlich überall in der Stadt gut zu empfangen. Die Post behauptete später, dass wir manchmal sogar bis Augsburg zu hören waren.“

44 Tage „On Air“
Am 3. Februar 1968, um Punkt 17 Uhr startete das Piratenprogramm, die erste Platte, die aufgelegt wurde, war „Magical Mystery Tour“ von den Beatles. Von da an war der Sender in Schulzes Wohnung im dritten Stock der Bautzener Straße 6 c regelmäßig „On Air“. „Meine Mutter hatte natürlich keine Ahnung, was wir da so trieben.“ Weil ihr Sohn und seine Kameraden seit Jahren an Radios bastelten, kam sie auch nicht auf die Idee, dass im Jungenzimmer eine illegale Sendestation betrieben wurde. Jeder der vier damals 15 und 16 Jahre alten Funkpiraten hatte seine Aufgaben: Klaus-Peter, genannt „Pete“ fungierte als Chef sowie Intendant, Peter und Harald waren die Disk-Jockeys, Donald, genannt „Duck“, arbeitete als Techniker. 44 Tage sendeten sie täglich drei bis fünf Stunden Beatmusik, aber auch populärwissenschaftliche Vorträge über radioaktive Strahlen und Geigerzähler. „Das fand aber beim Publikum keinen großen Anklang“, gibt Schulze heute zu. „Beliebt war dagegen unsere Hitparade am Samstag Abend, für deren Platzierungen wir unsere Freunde und Arbeitskollegen befragt haben.“ Das Quartett wechselte sich bei der Moderation ab, und man meldete sich unter den Stationsnamen „Blue Tiger“, „Jolly Roger“ „Piratensender Moosach“ und „The Fantastic Radio Station GOMA“.

Endgültiger Sendeschluss um 20:46 Uhr
Das Ende der „Piratenwelle“ aus Moosach kam am 18. März 1968 um 20:46 Uhr. Man sendete gerade „Tin Soldier“ von den Small Faces, als es an Schulzes Wohnungstüre klingelte. Die Mutter öffnete. Zwei Herren des Messdienstes der Post sowie zwei Polizisten standen vor der Türe. „Sie woll´n bestimmt mit meinem Buam reden, der bastelt grad mit seinen Freunden in seinem Zimmer“, sagte die Mutter und zeigte auf die Türe mit dem Pappschild „Unbefugten Zutritt streng verboten“. Die Herren traten trotzdem ein und ertappten das Quartett in Flagranti, das gerade dabei war, ein Tonband mit dem Mitschnitt der aktuellen Fernsehsendung „Beatclub“ einzulegen, um es der Fangemeinde zu Gehör zu bringen. Statt Beatmusikübertragung trat sofortige Funkstille bei „Radio Moosach“ ein. Die Ordnungshüter beschlagnahmten Sender, Verstärker, Plattenspieler und Schulzes 62 Schallplatten. „Der Verlust der Schallplatten hat mich damals am schwersten getroffen“, meint Schulze noch heute. Nach etwa vier Jahren bekam er die Anfrage, ob er seinen Sender oder seine Platten zurück haben möchte. „Natürlich habe ich die Platten gewählt. Einen Sender hätte ich ja problemlos jederzeit neu bauen können.“
„Ich bezweifle, dass die Postler unseren Sender direkt angepeilt hatten, denn das ist in dicht bebautem Gelände nicht ganz einfach“, vermutet Schulze. „Wahrscheinlich hat ein Funkamateur aus der Nachbarschaft einen Tipp gegeben.“ Der stand zusammen mit dem Funkmessdienst und den Polizisten am 18. März auch vor der Türe. „Die Postler und Polizisten waren erstaunt, ja nach meinem Eindruck sogar ein wenig darüber amüsiert, dass sie keine professionelle Sendercrew, sondern uns vier Buben vorfanden“.

Großes Medienecho
Das Medienecho in den folgenden Tagen war überwältigend: Alle großen Tages- und Boulevard-Zeitungen in der Region München, von der „Süddeutschen Zeitung“ bis zur „Bild-Zeitung“ [2 … 6], berichteten über den Piratensender, und das Jugendmagazin „BRAVO“ brachte in der Ausgabe vom 15. April 1968 sogar eine größere Reportage über die vier Funkpiraten [1]. Auch der öffentlich-rechtliche Rundfunk interessierte sich für die Funkpiraten: Der Bayerische Rundfunk lud das Quartett als Gäste in die Jugendsendung „Pop-Shop“ ein, die am 23. März 1969 ausgestrahlt wurde. Hier wurden Aufzeichnungen mit Ausschnitten aus den Moosacher Piratensendungen abgespielt und das Publikum belehrt, dass es nicht möglich sei, dass jeder einfach einen Sender betreiben kann. Außerdem zeigte man den vier Piratenfunkern bei einem Rundgang durch das Funkhaus „wie man eine richtige, ordentliche Sendung macht“, so der damalige BR-Jungendfunk-Redakteur Rüdiger Stolze [7].

Verfahren wegen Geringfügigkeit eingestellt
Kein Medium berichtete damals darüber, wie es in der Geschichte weiterging. „Ein paar Wochen später gab es eine Verhandlung vor dem Jugendgericht wegen Verstoßes gegen das Fernmeldeanlagengesetz (FAG). Meine Mutter hat während der gesamten Verhandlung im Gerichtssaal herzzerreißend geheult. Das hat den Richter wohl irgendwie beeindruckt“, so Schulze. „Ich hatte den Eindruck, dass er außerdem der Meinung war, dass man den technischen Forschungsdrang junger Leute, wie wir es waren, nicht bestrafen, sondern eher fördern solle.“ Das Verfahren wurde kurzerhand wegen Geringfügigkeit eingestellt. Schließlich war ja niemand geschädigt worden. „Die Behauptung, dass unser Sender den Flugfunk oder den Funkverkehr von Polizei, Feuerwehr oder Rettungskräften gestört haben könnte, erwies sich als völliger Unsinn. Unser Sender war trotz einfacher Bauweise frequenzstabil und strahlte keine unerwünschten Harmonischen ab.“

Hobby wurde zum Beruf
Nach Abschluss der Geschichte kündigte Schulze seine Lehrstelle bei der Post. „Ich wurde nicht, wie berichtet, wegen der Schwarzfunkerei von der Post rausgeschmissen. Mir ist damals klar geworden, dass ich den Rest meines Lebens nicht in Erdlöchern verbringen wollte, wo ich Kabel spleißen und Muffen verlöten müsste. Es war mein Wunsch, irgendetwas mit Hochfrequenztechnik zu machen.“ Schulze begann eine Radio- und Fernsehtechniker-Lehre beim Fernsehgeschäft Schubert in Schwabing. Nach Abschluss der Ausbildung war er noch eine kurze Zeit bei Quelle im Kundendienst beschäftigt und wurde danach zur Bundeswehr eingezogen. Auch hier hatte er mit Funktechnik zu tun: Er verbrachte vier Jahre als Zeitsoldat an verschiedenen Standorten mit der Wartung von militärischen Funkgeräten und Funkfernschreibeinrichtungen.

Bild 2. Klaus-Peter Schulze OE7PSH heute vor seiner Amateurfunkstation: „Die Sucht nach allem, was HF ausstrahlt, hat mich nicht mehr losgelassen...“. Vielleicht hat er seinen Sohn auch schon damit infiziert. (Bild: K.-P. Schulze)

Bild 2. Klaus-Peter Schulze OE7PSH heute vor seiner Amateurfunkstation: „Die Sucht nach allem, was HF ausstrahlt, hat mich nicht mehr losgelassen…“. Vielleicht hat er seinen Sohn auch schon damit infiziert. (Bild: K.-P. Schulze)


Inzwischen war Schulze auch wieder „auf Sendung“, diesmal aber ganz legal, denn 1974 hat er die Prüfung als Amateurfunker abgelegt und war unter dem Rufzeichen DG1MQ qrv.
Nach der Zeit beim „Bund“ studierte Schulze an der FH München Elektrotechnik, Fachrichtung Nachrichtentechnik, die er 1982 als junger Ingenieur verließ, um seine berufliche Karriere beim Münchener Sender der „Voice of America“ im technischen Dienst zu beginnen, wo er am Standort Ismaning 19 Jahre arbeitete. Nach der politischen Wende 1989 wurde beschlossen, den Sender von München nach Prag zu verlegen, und Schulze suchte sich ein neues Betätigungsfeld im technischen Betrieb „im Power-Bereich“ einer anderen öffentlich-rechtlichen Sendeanstalt. Heute lebt er in Österreich und ist auf den Amateurfrequenzen unter dem Rufzeichen OE7PSH anzutreffen. „Natürlich mit selbstgebauten Geräten und in CW“.
An seine Vergangenheit als Funkpirat erinnert sich Klaus-Peter Schulze heute mit einem Schmunzeln. „Ja, die Sucht nach allem, was Hochfrequenz ausstrahlt, hat mich seit dem bis heute nicht losgelassen…“

Quellen
[1] o. V.: Beat-Funkstille. BRAVO Nr. 16 vom 15. April 1968, Seiten 25 – 28.
[2] Doenike, U.: „Radio Moosach“ schweigt. Piratensender ausgehoben. Abendzeitung, München vom 20.03.1968.
[3] o. V.: Piratensender „Blue Tiger“ verstummt. Süddeutsche Zeitung vom 20.03.1968.
[4] Mahkorn, R.: Piratensender „Blue Tiger“ schweigt. Bild München vom 20.03.1968.
[5] o. V.: Jagt auf den „blauen Tiger“. Münchner Merkur vom 20.03.1968.
[6] o. V. Postlehrling als Sendeleiter. Schrobenhausener Zeitung (Donau-Kurier) vom 20.03.1968.
[7] o. V.: Jugendfunk: Ätherpiraten zu Gast im „Pop-Shop“. Abendzeitung, München vom 23.03.1968.

Autor: Peter von Bechen
Der Beitrag wurde erstmals veröffentlicht in der Zeitschrift „Funkgeschichte“ Nr. 203 (2012), Publikation der GFGF e. V. (www.gfgf.org), Seiten 82 – 87. Diese Zeitschrift ist nur im Rahmen der GFGF-Mitgliedschaft zu beziehen.

Piratensender: Die Gesetzeslage gestern und heute
Das seit 1928 gültige „Gesetz über Fernmeldeanlagen“ oder kurz „FAG“ regelte bis 1997 den Funkbetrieb. Nach diesem Gesetz hatte in Deutschland der Bund die ausschließliche Fernmeldehoheit (§1). Das Recht, eine Fernmeldeanlage zu betreiben, konnte nur von der Behörde verliehen werden (§2). Funkamateure bildeten hier eine Ausnahme, denn sie haben auf Grund des Amateurfunkgesetzes ein Recht auf Zuteilung einer Genehmigung, wenn sie die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllen (Ablegen einer Prüfung, die technische, betriebliche und gesetzliche Kenntnisse nachweist). Wer ohne Genehmigung eine Funkanlage betrieb, machte sich nach §15 FAG strafbar, auch der Versuch wurde bereits bestraft. Das Strafmaß konnte bis zu fünf Jahren Freiheitsentzug betragen. Illegale Funkanlagen wurden grundsätzlich eingezogen.
Ab 1995 wurde diese Vorschrift im „Postneuordnungsgesetz“ etwas gelockert. Strafbar machte man sich nur, wenn mit dem Betrieb eines Schwarzsenders Leib und Leben eines anderen oder bedeutende Sachwerte geschädigt oder gefährdet wurden.
Das 1998 in Kraft getretene und heute gültige „Telekommunikationsgesetz“ oder kurz „TKG“ löste das „FAG“ ab, damit existiert §15 FAG nicht mehr. „Schwarzsenden“ ist im FAG nicht mehr ausdrücklich erwähnt. Heute werden die Frequenzen von der Bundesnetzagentur an die jeweiligen Nutzer vergeben. Wer auf einer nicht zugeteilten Frequenz sendet, begeht eine Ordnungswidrigkeit, die mit Geldstrafe geahndet werden kann. Ausdrücklich verboten und damit Straftaten sind dagegen die Verletzung des Fernmeldegeheimnisses, also das unbefugte Abhören von Nachrichten und die Weitergabe der Inhalte an Dritte, sowie der „Lauschangriff“ auf die Privatsphäre mit kleinen Sendern, auch „Minispione“ oder „Wanzen“ genannt. Hierbei werden vom Grundgesetz garantierten Persönlichkeitsrechte in erheblichem Maße verletzt.

Schwarzsender heute eher selten
Nach Auskunft der Bundesnetzagentur ist im Vergleich zu der Zeit zwischen 1960 und Ende der 1980er-Jahre die Zahl der aufgedeckten Fälle von Schwarzfunkerei heute deutlich geringer. Ab und zu gibt es wohl noch Schwarzsender im UKW-Bereich; auf den anderen Frequenzen (MW und KW) sind sie sehr selten geworden. Der wichtigste Grund ist wohl, dass den Leuten, die ihre Botschaften verbreiten wollen, heute mit dem Internet ein leichter zu nutzendes Medium zur Verfügung steht.
Viel häufiger spüren die Funkpeiltrupps Sender auf, die mehr oder weniger unbeabsichtigt auf Frequenzen arbeiten, die anderen Nutzern zugeteilt sind. Das können Geräte sein, die in Deutschland nicht zulässig sind oder auf Grund eines technischen Defektes oder unzulässiger Manipulation auf der falschen Frequenz senden.
Grundsätzlich müssen alle in Deutschland betriebenen Sendegeräte ein CE-Zeichen tragen, sonst sind sie unzulässig und können von der Bundesnetzagentur eingezogen werden. Einzige Ausnahme sind selbstgebaute Geräte lizenzierter Funkamateure, die natürlich strenge Vorgaben bezüglich maximaler Ausgangsleistung, Einhalten der Frequenzbereiche, minimaler Oberwellenabstrahlung und zulässiger EMV-Belastung einhalten müssen.
Heute werden die Funkfrequenzen nicht flächendeckend überwacht. Die Funkmesstrupps der Bundesnetzagentur werden nur dann aktiv, wenn beispielsweise Nutzer zugewiesener Frequenzen Störungen ihrer Dienste melden oder sich Rundfunkteilnehmer über gestörten Empfang beschweren.
Wenn ein illegaler Nutzer auf einer nicht zugewiesenen Frequenz erwischt wird, kann diese Ordnungswidrigkeit mit einer Geldstrafe geahndet werden, deren Höhe von der Schwere des Einzelfalls abhängt (absichtlich, fahrlässig, wurden andere Dienste gestört?, wurden Gefahren für Leib und Leben oder an Vermögenswerten Dritter verursacht?). Neben einer Ordnungsstrafe, die durchaus bis zu einigen Tausend Euro betragen kann, sind unter Umständen auch Schadensersatzansprüche Dritter zu erwarten. Auch der Aufwand, den die Bundesnetzagentur bei Aufspüren des illegalen Senders hatte, kann in Rechnung gestellt werden.
Auch ein anderer Punkt in Zusammenhang mit Piratenfunk kann teuer werden: Wenn man urheberrechtlich geschützte Werke per Funk verbreitet, z. B. Musikkonserven wie Mitschnitte von Sendungen, Schallplatten, CDs, MP3-Musik usw., tritt die GEMA auf den Plan. Die kassiert nicht unerhebliche Beträge, auf die noch ein Aufschlag fällig sein kann, wenn die öffentliche Verbreitung vorher nicht ordnungsgemäß angemeldet war.

Piraten ohne Grenzen
Nicht ganz leicht haben es die Funkmesstrupps im nordwestlichen Grenzgebiet Deutschlands. Niederländische Behörden sind wesentlich liberaler, was das Schwarzsenden angeht. Deshalb gehört Piratenfunk bei unseren Nachbarn wohl zu den beliebten Beschäftigungen. Solange sich niemand gestört fühlt, werden staatliche Aufsichtsbehörden offensichtlich nicht aktiv. Und weil Funkwellen bekanntermaßen vor nationalen Grenzen keinen Halt machen, aber die Bundesnetzagentur nur auf deutschem Territorium aktiv werden kann, ist sie gegen Piratensender in den Niederlanden machtlos.

Weiterführende Literatur

Zum Thema Schwarz- und Piratensender gibt es umfangreiche Literatur. Hier eine kleine Auswahl:
Roth, W.-D.: Piratensender. Geschichte und Praxis. VTH-Verlag, Baden-Baden, 2004. ISBN 3-88180-637-7
Wahl, G.: Piratensender & Zubehör. Funktion und Technik von Schwarzsendern. Franzis-Verlag, Poing, 2003, ISBN 3-7723-5597-8
Schüler, W.: …Fünf…Vier…Ruft…Monitor. Hinter den Kulissen der deutschen Funküberwachung. Franzis-Verlag, Poing, 1999. ISBN 3-7723-5814-4

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/archiv/vonbechen.de/peter/2015/02/01/44-tage-blue-tiger-radio/feed/ 0
„Bombenzünder“ im Radio /archiv/vonbechen.de/peter/2015/01/25/bombenzuender-im-radio/ /archiv/vonbechen.de/peter/2015/01/25/bombenzuender-im-radio/#comments Sun, 25 Jan 2015 17:24:36 +0000 /archiv/vonbechen.de/peter/?p=156 Weiterlesen ]]> Einkreiser von Sachsenwerk Radeberg mit „seltsamen“ Kondensatoren

Nach dem 2. Weltkrieg waren Radios heiß begehrt, denn die Menschen wollten nicht nur Zugang zu Informationen, sondern in dieser tristen Zeit ein wenig Unterhaltung haben. Teile, aus denen sich Radios zusammenbauen lassen, wurden aber nicht produziert. Also nutzte man das, was der Krieg hinterlassen hatte. Hier in diesem kleinen Radio waren es beispielsweise Kondensatoren, die eigentlich für den Zündmechanismus von Bomben vorgesehen waren.

Radios, die in den ersten Jahren nach dem Krieg produziert wurden, können nicht mit spektakulärer Schaltungstechnik aufwarten. In der Regel handelt es sich um einfache Einkreiser. Trotzdem ist es interessant, sich mit diesen eher unscheinbaren Geräten zu beschäftigen. Wenn man versucht, sie wieder zum Leben zu erwecken, geben sie so manches interessante Detail preis, das die damalige Situation des Mangels dokumentiert. Jedes der frühen Nachkriegsradios erzählt seine eigene Geschichte und zeugt von der hohen Kunst der Improvisation, die deren Erbauer Tag für Tag bewiesen, um überhaupt Geräte produzieren zu können.

Bild 1. Einkreiser vom Sachsenwerk Radeberg. Das Gerät verfügt über aufgeteilte Lang- und Mittelwellenbereiche. (Fotos: Peter von Bechen)

Bild 1. Einkreiser vom Sachsenwerk Radeberg. Das Gerät verfügt über aufgeteilte Lang- und Mittelwellenbereiche. (Fotos: Peter von Bechen)


Typisches Beispiel für eine solche Nachkriegskonstruktion ist ein kleiner Einkreiser von „Sachsenwerk Radeberg“, den der Autor vor längerer Zeit im Raum Dresden erwarb. Außer der Firmenbezeichnung auf der Skala gab es keine Hinweise auf den Gerätetyp. Die Rückwand fehlte. Das Äußeres war ziemlich heruntergekommen, offensichtlich war das Radio lange feucht gelagert. So war das Holzgehäuse völlig aus dem Leim und der Lack abgeblättert.
Die erste Inspektion des Innenlebens erbrachte folgenden Befund: Es handelt sich um einen auf ein Pertinaxplatte aufgebauten „klassischen“ Einkreiser mit den Röhren AF7, AL4 und der Gleichrichterröhre AZ1. Die Metallteile waren stark korrodiert, aber insgesamt noch reparabel. Offensichtlich war auch noch alles im Originalzustand, so dass sich ein Versuch zur Restaurierung lohnte.
Bild 2. Oberseite des Chassis. Neben der Skala und dem Ausgangstransformator befinden sich die aus Bombenzünder-Kondensatoren zusammengebauten Lade- und Siebkondensatoren (rote Pfeile).

Bild 2. Oberseite des Chassis. Neben der Skala und dem Ausgangstransformator befinden sich die aus Bombenzünder-Kondensatoren zusammengebauten Lade- und Siebkondensatoren (rote Pfeile).


Wie für Geräte dieser Zeit typisch, wurden bei der Produktion viele Teile verwendet, die entweder aus Wehrmachtsgeräten stammten, oder zumindestens ursprünglich für diese vorgesehen waren. Hier sind z. B. die Kondensatoren in hermetisch verlöteten Keramikröhrchen („Sikatrop“-Kondensatoren) und die professionellen Becherkondensatoren zu nennen. Auch der Rückkopplungsdrehkondensator könnte militärischen Ursprungs sein. Es handelt sich um einen sehr stabil aufgebauten Luft-Drehkondesator mit massiven Aluminiumplatten, der durchaus aus einem KW-Sender stammen könnte.
Bild 3. Unterseite des Chassis. Bei der Konstruktion wurden zahlreiche militärische Bauelemente verwendet. Der Rückkopplungskondensator ist ein stabiler Luft-Drehko, der aus einem KW-Sender stammen könnte.

Bild 3. Unterseite des Chassis. Bei der Konstruktion wurden zahlreiche militärische Bauelemente verwendet. Der Rückkopplungskondensator ist ein stabiler Luft-Drehko, der aus einem KW-Sender stammen könnte.



Bauelemente aus Wehrmachtsbeständen

Im Sachsenwerk Radeberg wurden bis Kriegsende Geräte für die Wehrmacht produziert. So ist es durchaus denkbar, dass noch vorhandene Bestände an Bauelementen für die Radioproduktion benutzt wurden. Außerdem war es damals üblich, militärische Nachrichtengeräte auszuschlachten und die Teile zivilen Zwecken zuzuführen. Einige Widerstände in dem Gerät sind mit Nummern-Abziehbildchen versehen, die daruf hinweisen, dass die Teile wahrscheinlich aus Wehrmachtsgeräten stammten. Auch der Schwingkreis-Drehko, ein offensichtliches Kriegsprodukt mit Pertinaxisolation trägt solche Positionsnummern.
Ein Rätsel gaben die Lade- und Glättungskondensatoren des Netzteils auf. Es handelt sich um Aluminiumbecher, von denen jeweils zwei übereinander montiert und miteinander verbunden sind. Die etwa 3,5 cm hohen Becher mit einem Durchmesser von 5 cm haben eine Öffnung von 2,5 cm Durchmesser. Der rote Aufdruck ist undeutlich und nicht lesbar, aber es könnte sich außer um Buchstaben und Zahlen um das NS-Hoheitszeichen oder Luftwaffenadler handeln. In der Mitte befindet sich ein Preßstoffteil mit der Jahreszahl 1945 sowie weiteren Buchstaben und Zahlen.
Eine Rückfrage bei GFGF-Mitglied Herbert Börner, Ilmenau, ergab, dass zu den frühen Nachkriegsradios aus Radeberg offensichtlich keine Unterlagen vorhanden sind oder möglicherweise nie existierten. Das ist durchaus möglich, denn damals hatte man andere Sorgen, als Dokumentationen zu erstellen. Trotzdem gab Herbert Börner mit dem Verweis auf GFGF-Mitglied Karl-Heinz Kunisch, Hoyerwerda, den richtigen Tip. In seiner Sammlung befindet sich ein Gerät mit gleichem Äußerem, aber etwas anderer Schaltung.

Bombenzünder-Kondensatoren

Auch er wußte zunächst nichts über die Herkunft der Kondensatoren. Erst ein Spezialist in Militär-Technik löste das Rätsel: Diese Kondensatoren stammen aus der Zündeinrichtung von Bomben. Mit der in ihnen gespeicherten Ladung wurde beim Aufschlag ein Draht in der Zündladung zum Glühen gebracht, so dass die Bombe zündete. Die Öffnung im Kondensatorbecher diente zur Aufnahme der Mechanik des Aufschlagzünders (Weitere Details über den Zündmechanismus sind dem Autor nicht bekannt, weil er kein Bombenspezialist ist).
Bild 4. Bombenzünder-Kondensatoren aus dem Gerät des Verfassers.

Bild 4. Bombenzünder-Kondensatoren aus dem Gerät des Verfassers.


Die ursprüngliche Aufgabe der Bauteile, nämlich sichere Ladungsspeicherung über eine bestimmte Zeit, war nur mit Kondensatoren möglich, deren Dielektrikum hohe Isolationswerte erreicht. Auf Grund der Bauform war es aber nicht möglich, die erforderliche Kapazität mit einem Wickel zu realisieren. Deshalb wurden mehrere kleine Wickel im Becher mit Bitumen eingegossen. Die Anschlüsse sind herausgeführt und außen miteinander verlötet, um durch Parallelschaltung die erforderliche Kapazität zu erreichen. Die Zahl der Anschlußdrähte und die Verschaltung lassen darauf schließen, daß es sich um fünf Einzelkondensatoren in einem Becher handelt.
Bild 5. Bombenzünder-Kondensatoren, die der Verfasser auf einem Funk-Flohmarkt erworben hat. Hier erkennt man die ringförmig zusammengelöteten Einzelanschlüsse der einzelnen Wickel.

Bild 5. Bombenzünder-Kondensatoren, die der Verfasser auf einem Funk-Flohmarkt erworben hat. Hier erkennt man die ringförmig zusammengelöteten Einzelanschlüsse der einzelnen Wickel. („eyr“ ist der WaA-Herstellercode, der vom Heereswaffenamt vergeben wurde).


Die Kondensatoren im Gerät des Verfassers wiesen Kurzschlüsse auf und ließen sich deshalb nicht eindeutig ausmessen. Karl-Heinz Kunisch gab etwa 0,1 µF pro Einzelkondensator an, was bei der Parallelschaltung von zwei „Bombenzündern“ 1 µF ergeben würde. Für Lade- und Glättungskondensatoren eines solchen Gerätes ist dieser Wert recht knapp bemessen. Es ist deshalb zu vermuten, dass die Kapazität der Einzelkondensatoren möglicherweise größer ist.
Bild 6. Die Schaltung des Einkreisers weist keine Besonderheiten auf. Hier ist die Version abgebildet, die sich in der Sammlung von Karl-Heinz Kunisch befindet. Das Gerät des Autors hat einen elektrodynamischen Lautsprecher, dessen Magnetwicklung direkt vom Netzteil gespeist wird, sowie als Gleichrichter eine AZ1. (Bild: Karl-Heinz Kunisch)

Bild 6. Die Schaltung des Einkreisers weist keine Besonderheiten auf. Hier ist die Version abgebildet, die sich in der Sammlung von Karl-Heinz Kunisch befindet. Das Gerät des Autors hat einen elektrodynamischen Lautsprecher, dessen Magnetwicklung direkt vom Netzteil gespeist wird, sowie als Gleichrichter eine AZ1. (Bild: Karl-Heinz Kunisch)


Dieses Beispiel zeigt, wie damals Rüstungsmaterial für die Deckung von Bedarf der Zivilbevölkerung genutzt wurde. Bemerkenswert ist die Tatsache, dass die Bombenzünder-Kondensatoren, deren ursprünglicher Zweck das Zerstören und Töten war, letztlich in Radios ihren Dienst taten, die ihren Besitzern ein wenig Freude und Unterhaltung in diese triste Zeit brachten.
Das Sachsenwerk Radeberg stellte ab 1949 keine Radios mehr her, weil hier als Reparationsleistung für die Sowjetunion Fernsehgeräte vom Typ „Leningrad“ produziert wurden.

Der Autor dankt Herbert Börner und Karl-Heinz-Kunisch für die Informationen und Hinweise.

Autor: Peter von Bechen
Der Beitrag wurde erstmals veröffentlicht in der Zeitschrift „Funkgeschichte“ Nr. 115 (1997), Publikation der GFGF e. V. (www.gfgf.org), Seiten 216 – 219. Diese Zeitschrift ist nur im Rahmen der GFGF-Mitgliedschaft zu beziehen.

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/archiv/vonbechen.de/peter/2015/01/25/bombenzuender-im-radio/feed/ 1
Der funkende Poet /archiv/vonbechen.de/peter/2014/04/16/martin_selber/ /archiv/vonbechen.de/peter/2014/04/16/martin_selber/#comments Wed, 16 Apr 2014 09:16:30 +0000 /archiv/vonbechen.de/peter/?p=98 Weiterlesen ]]> Funkamateur und Kinderbuchautor Martin Selber

Nicht wenige Jugendliche in der DDR der 1950er- und 1960er-Jahre haben ihrer Liebe zur Radio- und Funktechnik entdeckt, nachdem sie eines der Bücher von Martin Selber gelesen hatten. Der hieß eigentlich Martin Merbt, war aktiver Funkamateur, lebte unweit von Magdeburg und verfasste außer den drei bekannten Technik-Kinderbüchern mehr als 50 Romane und Kurzgeschichten, in denen auch manchmal das Funken eine Rolle spielte.

Martin Selber / Martin Merbt (1924 – 2006)

Martin Selber / Martin Merbt (1924 – 2006)

Martin Merbt, der 1924 in Dresden zur Welt kam, interessierte sich seit seiner Kindheit für die Funkerei. Bei der damaligen NS-Jugendorganisation hatte er Mitte der 30er Jahre schon sehr früh die Möglichkeit, das Morsen zu erlernen. Aus diesem Grund war es für ihn kein Problem, später den „Wehrmachtsnachrichtenschein“ zu erwerben. Als er zum Militär eingezogen wurde, erwies sich das für ihn als Vorteil, denn als Nachrichtenhelfer und Funker musste er nicht in die Kampfzone. Den Krieg erlebte Merbt als Funker und Sanitäter an verschiedenen Einsatzorten in Frankreich und an der Ostfront, wo er bei Kriegsende in russische Gefangenschaft geriet.
Merbt verfügte über ein ausgeprägtes Sprachtalent, er konnte ausgezeichnet französisch sprechen und beherrschte auch den elsässischen Dialekt. So gelang es ihm, seine russischen Bewacher davon zu überzeugen, dass er vermeintlich kein Deutscher, sondern Franzose sei. Aus diesem Grund kam er vorzeitig aus der Gefangenschaft frei und konnte schon 1945 nach Deutschland zurückkehren. Seine Eltern hatte es in den Wirren des Kriegsendes in die Gegend von Magdeburg verschlagen. So kam er nach Domersleben, heute Teil der Gemeinde Wanzleben. Dieses kleine Dorf in der Börde sollte für sein weiteres Leben zu seiner Heimat werden.

„Das macht Martin selber“
In der entbehrungsreichen Nachkriegszeit der 1940er-Jahre sehnten sich die Menschen nach Ablenkung vom tristen Alltag. Doch das kulturelle Angebot in der landwirtschaftlich geprägten Region war eher bescheiden. Deshalb entschlossen sich einige Mitglieder der Dorfgemeinschaft, für Tanz, Spiel und Theater selbst zu sorgen. Mit seinen Talenten konnte Martin Merbt sehr viel dazu beitragen. Er engagierte sich, und so entwickelte sich in Domersleben ein umfangreiches Kulturleben, an dem sich viele Dorfbewohner beteiligten. Als jemand fragte, wer denn alles organisiere, leite und einstudiere, bekam er die Antwort: „Das macht unser Martin selber“. Damit war das Pseudonym „Martin Selber“ geboren, unter dem er fortan seine zahlreichen Werke verfasste.
Auch mit Radiotechnik hat sich Martin Merbt in dieser tristen Zeit beschäftigt. Um überhaupt wieder Radio hören zu können, wurde zunächst ein Detektorempfänger gebaut. Röhren und andere Teile zum Bau eines „richtigen“ Radios waren damals nur sehr schwer aufzutreiben und wenn erhältlich, dann sehr teuer. Schließlich brauchte die Familie das Geld für wichtigere, lebensnotwendige Anschaffungen. An Funken war in den ersten Jahren nach dem Krieg zunächst überhaupt nicht zu denken. Erst als die Besatzungsmacht die Vorschriften lockerte, konnte in den späten 1950er-Jahren der Amateurfunk in der DDR wieder aufgenommen werden. Allerdings wollte die Staatsmacht seinerzeit die Kontrolle darüber behalten und erlaubte deswegen zunächst nur Klubstationen, die von der GST (Gesellschaft für Sport und Technik) betrieben wurden. Um Funkamateur werden zu können, musste man Mitglied in dieser Organisation sein. Hier lernte man das Morsen (CW) und alles, was für die Lizenzprüfung erforderlich war.

Endlich wieder funken
1957 existierte bereits eine Klubstation im Nachbardorf Hohendodeleben, das etwa 6 km von Domersleben entfernt ist. Merbt war natürlich sehr interessiert an den Aktivitäten der dortigen Funkamateure und besuchte öfters die Station. Eines Tages fragte man ihn, ob er nicht nach Magdeburg zur Lizenzprüfung mitkommen wolle. Eigentlich wollte er nur zuschauen, aber Merbt nutzte die Gelegenheit und nahm an der Prüfung teil. Er bestand auf Anhieb und war daraufhin aus Hohendodeleben unter dem Rufzeichen DM3KFG aktiv. Zu Hause in der Bodenkammer bastelte er sich die Empfangsstation DM-0827/G, an der er viele Stunden als fleißiger Kurzwellenhörer verbrachte.

Bild 2: OM Martin in seiner Funkbude in seinem Haus in Domersleben (In der Quelle [13] ist fälschlicherweise angegeben, dass es in der Klubstation Hohendodeleben aufgenommen wurde)*. (Bild: Funkamateur)

Bild 2: OM Martin in seiner Funkbude in seinem Haus in Domersleben (In der Quelle [13] ist fälschlicherweise angegeben, dass es in der Klubstation Hohendodeleben aufgenommen wurde)*. (Bild: Funkamateur)

* K.-P. Merbt über dieses Bild: „So weit ich mich erinnere, kann man hier folgendes erkennen: Vor sich von rechts nach links hat mein Vater einen alten Wehrmachtsempfänger, der nicht mehr im Gebrauch war. Der schmale Kasten ist ein Antennenverstärker, daneben der Sender EcoBuPA. Kann sein, dass die Endstufe unter dem Tisch stand. Beides sind Eigenbauten. Der kleine Kasten war wohl ein Mikrofonverstärker, die Säule davor links neben der Taste ist ein Kohlemikrofon. Das letzte Teil in der Reihe mit runder Lautsprecherabdeckung der Empfänger, und zwar ein umgebauter Schiffsempfänger, Superhet SH6. Alles auf das man direkt sieht, sind Messgeräte und eher dekorative, nicht mehr benutzte Einzelteile, meist wohl Bastelarbeiten aus vergangenen Funkerzeiten.

Das sprach sich bei der Dorfjungend herum, die sich brennend für Technik interessierte. Die jungen Leute durften ihn gerne besuchen, und er zeigte ihnen, wie sich weite Welt im Kopfhörer anhört. Schon bald waren sie vom Funk-Virus befallen, so dass Merbt mit einigen von ihnen 1958 die Sektion Nachrichtensport in Domersleben gründete. 1959 konnte man die Klubstation mit dem Rufzeichen DM3WG in Betrieb nehmen. 1960 erhielt OM Martin die Lizenz für seine eigene heimische Funkstation und das Rufzeichen DM2APG.

Bild 1: Die drei erfolgreichen Technik-Kinderbücher von Martin Selber haben viel junge Leute zur Funktechnik gebracht.

Bild 1: Die drei erfolgreichen Technik-Kinderbücher von Martin Selber haben viel junge Leute zur Funktechnik gebracht.

Besonders am Herzen lag Martin Merbt die Ausbildung Jugendlicher. Jeden Montag kam im Klub, der im Kulturhaus untergebracht war, die „Arbeitgemeinschaft der Jungen Funker“ zusammen, um das richtige Löten zu erlernen, das Morsen zu trainieren sowie sich mit der Praxis des Funkens vertraut zu machen. Alles das, was hier erarbeitet wurde, ließ Merbt in seine wohl bekanntesten Technik-Kinderbücher „Mit Spulen, Draht und Morsetaste“, „Mit Radio, Röhren und Lautsprecher“, „Mit Logbuch, Call und Funkstation“ [1] einfließen, die Ende der 1950er-Jahre im Kinderbuchverlag Berlin erschienen.

Bild 4: Junge Funkerin und junge Funker der Arbeitsgemeinschaft im Kulturhaus in den 1960er-Jahren.

Bild 4: Junge Funkerin und junge Funker der Arbeitsgemeinschaft im Kulturhaus in den 1960er-Jahren.

Technisches Wissen spannend verpackt
Diese Bücher haben bei mehreren Generationen junger Menschen das Interesse an der Radio- und Funktechnik geweckt. Und etliche wurden davon auch in ihrer späteren Berufswahl beeinflusst oder sind ihr Leben lang dem Hobby Amateurfunk verfallen. Die Ursache für die besondere Faszination der Martin-Selber-Bücher liegt wohl darin, dass er die Vermittlung des notwendigen technischen Wissens in spannende Handlungen verpackte, die sich leicht lesen lassen und in denen die Jugendlichen sich selbst wiederfinden. Außerdem beschreibt er, wie man mit dem wenigen, was damals zur Verfügung stand, einfache Apparaturen basteln konnte, an denen nicht nur die prinzipielle Wirkungsweise zu erkennen ist, sondern die auch richtig funktionieren. Als Beispiel sei hier die Wäscheklammer genannt, die zur Morsetaste wurde.

Bild 5: Morsen lernen an der Leiste – auch die Kleinsten hören hochkonzentriert zu.

Bild 5: Morsen lernen an der Leiste – auch die Kleinsten hören hochkonzentriert zu.

Nicht wenige Leser seiner Bücher erinnern sich noch gerne daran, dass ihnen Martin Selber bei ihren ersten Gehversuchen auf dem Gebiet der Radiotechnik quasi als „Bastelonkel“ zur Seite gestanden ist. Für diejenigen, die diese Bücher nicht aus ihrer eigenen Kindheit bis heute herübergerettet haben, ist vor einigen Jahren sogar eine Nachdruck aufgelegt worden [2], der noch erhältlich ist und der sich großer Beliebtheit erfreut.

Bild 6: Das erste Eigenbaugerät, ein Detektor – muss doch zum Laufen zu bringen sein... [6]

Bild 6: Das erste Eigenbaugerät, ein Detektor – muss doch zum Laufen zu bringen sein… [6]



Sendeverbot am Samstag

Die Klubstation in Domersleben DM3WG, später Y45ZG, existierte bis in die 1980er-Jahre. Martin Merbt hatte sich hier jahrelang mit viel Engagement um den Nachwuchs gekümmert. Daneben war er auch mit seiner eigenen Station aktiv. Er beteiligte sich mit Erfolg an zahlreichen Contests und erhielt etliche Diplome. „OM Martin“ war regelmäßig Teil der sonntäglichen Runde auf 80 m und erfreute sich großer Beliebtheit unter den anderen Amateuren.
Nicht nur in der Luft, sondern auch auf Papier engagierte sich Merbt in Angelegenheiten des Amateurfunks. So meldete er sich in der Zeitschrift Funkamateur in den 1960er- und 1970er-Jahren immer wieder zu Wort. Zum einen, um am Beispiel von Domersleben zu zeigen, wie erfolgreiche Jugendarbeit auszusehen hat [3 – 9, 12], und zum anderen, um auf Missstände im Funkbetrieb hinzuweisen (z. B. „QSL-Pranger“) [10, 11].
Bild 3: OM Martins QSL-Karten der Empfangsstation DM-0827/G und der Sendestation DM2APG, mit den damaligen Mitteln recht attraktiv gemacht. (Folgende Bilder: Familie Merbt)

Bild 3: OM Martins QSL-Karten der Empfangsstation DM-0827/G und der Sendestation DM2APG, mit den damaligen Mitteln recht attraktiv gemacht. (Bilder außer Nr. 2: Familie Merbt)

OM Martin verweigert Y-Rufzeichen
Sein selbstgebauter AM-Sender gab 60 Watt an die Langdraht-Antenne ab. Im Nahfeld war dann allerdings das TVI so stark, dass kein Empfang mehr möglich war. Deshalb verhängte die Familie Merbt zu bestimmte Zeiten ein „Sendeverbot“, insbesondere samstags, wenn im Westfernsehen der Programmplan für die folgende Woche gesendet wurde, den man sorgfältig mitschrieb – DDR-Programmzeitschriften druckten diesen damals aus naheliegenden Gründen nicht ab.
Einige der in der Klubstation in Domersleben aktiven Amateure wurden auch beruflich von ihrem Hobby geprägt und sind später z. B. als Schiffsfunker in der Welt weit herum gekommen. Bis zum Schluss nutzte OM Peter Tautz, damals mit dem Rufzeichen DM3NWG, später Y45VG, die Klubstation. Damit diese noch weiter betrieben werden konnte, zahlte er sogar die GST-Mitgliedsbeiträge für nicht mehr aktiven Amateurfunk-Kollegen weiter.

Bild 7: OM Peter Tautz, damals mit dem Rufzeichen DM3NWG, hat noch lange versucht, die Klubstation in Domersleben am Leben zu halten (Bild aus den 1970er-Jahren).

Bild 7: OM Peter Tautz, damals mit dem Rufzeichen DM3NWG, hat noch lange versucht, die Klubstation in Domersleben am Leben zu halten (Bild aus den 1970er-Jahren).

Mit der Umstellung der DM- auf Y-Rufzeichen im Jahr 1980 war OM Martin alles andere als einverstanden. Die Urkunde musste bei der GST in Magdeburg abgeholt werden. Als seine Art stillen Protestes verzichtete er darauf und war seit dem nicht mehr in der Luft. 1987 wurde die Klubstation in Domersleben, zu dieser Zeit mit dem Rufzeichen Y44ZG, endgültig zugemacht.
Martin Merbt starb 2006 im Alter von 82 Jahren.

Bild 8: In den letzten Jahren vor seinem Tod arbeitete Martin Selber als Journalist und Schriftsteller (hier 1999 an seinem Schreibtisch).

Bild 8: In den letzten Jahren vor seinem Tod arbeitete Martin Selber als Journalist und Schriftsteller (hier 1999 an seinem Schreibtisch).

Sonnenfleckenregion als Denkmal
Was bleibt, ist die Erinnerung an einen Menschen, der mit seinen mehr als 50 Werken und zahlreichen Artikeln nicht nur das Leben der Menschen seiner Umgebung, der Börde, reflektiert hat, sondern auch ganze Generationen junger Menschen mit dem Radio- und Funk-Virus infiziert hat. Und er lebt weiter in den Erinnerungen seiner damals jugendlichen Leser an die ersten Töne aus ihrem Detektor und den Morsezeichen, die sie mit dem selbstgebauten 0-V-1 aufnehmen konnten. Der DARC e. V. hat Martin Selber ein Denkmal gesetzt, in dem eine Sonnenfleckenregion nach im benannt wurde. Vermutlich wurde das von Dr. Michael Höding, DL6MHW, initiiert, der selbst nur 30 km entfernt von Domersleben aufwuchs und unter Y63UG seine ersten QSOs tätigte.
Und die Straße in Domersleben, an der das Haus der Familie Merbt steht, heißt heute „Martin-Selber-Straße“.

Autor: Peter von Bechen
Dieser Beitrag wurde in der Zeitschrift „Funkamateur“ 2012, Heft 1, Seiten 29 – 31 (www.funkamateur.de) erstmals veröffentlicht.

Literatur
[1] Selber, M.: Mit Spulen, Draht und Morsetaste, Mit Radio, Röhren und Lautsprecher (spätere Auflagen: Mit Radio, Röhren und Transistoren), Mit Logbuch, Call und Funkstation, Kinderbuchverlag, Berlin (DDR), verschiedene Auflagen ab 1958
[2] Selber, M.: 3 in 1. ISBN 978-3-936124-88-0, Funk-Verlag Bernhard Hein, Dessau.
[3] Selber, M., DM 3 WG: … und auch sonst mit viel Elan. FA 1963, H. 4, S. 123
[4] Selber, M., DM 3 WG: Selbstbau eines Taschentelefons. FA 1963, H. 7, S. 237
[5] Selber, M., DM 3 WG: Mehr als sieben Jahre. FA 1966, H. 9, S. 455
[6] Selber, M., DM 3 WG: Das erste Eigenbaugerät: Ein Detektor. FA 1968, H. 2, S. 91
[7] Selber, M., DM 3 WG: Fragen wir mal Domersleben. FA 1968, H. 1, S. 41
[8] Selber, M., DM 3 WG: Eine drahtgebundene Morsetaste. FA 1968, H. 4, S. 195
[9] Selber, M., DM 3 WG: Wie wär’s mit einer Fuchsjagd? FA 1968, H. 5, S. 246
[10] Selber, M., DM 2 APG / DM 3 WG: Ein altes Lied. FA 1970, H. 3, S. 144
[11] Selber, M., DM 3 WG / DM 2 APG: Stoßseufzer für die jungen Newcomer. FA 1973, H. 3, S.148, und H. 4, 162
[12] Selber, M., DM 2 APG: Die Domerslebener und ihre 16jährige Erfahrung. FA 1975, H. 5, S.249
[13] Brenneke, W. D.: Ein funkender Schriftsteller. FA 1968, H. 7, S. 333
(FA = Funkamateur)

Anmerkung des Autors: Wie es zu diesem Artikel kam
Ich hatte Anfang der 1990er-Jahre Gelegenheit, Teile des Nachlasses des kurz zuvor verstorbenen Karl-Heinz Schubert, langjähriger Chefredakteur der Zeitschrift Funkamateur, vor der Entsorgung im Altpapiercontainer zu bewahren. Darunter war auch ein Exemplar des Buches „Mit Logbuch, Call und Funkstation“. Auf der ersten Seite findet sich eine persönliche Widmung des Autors an die Redaktion und „herzliche 73“ mit dem Datum 20.08.1959 (Bild 9).

Bild 9: Persönliche Widmung für den Funkamateur in dem Belegexemplar des Buches „Mit Logbuch, Call und Funkstation“. Das Original befindet sich heute im GFGF-Archiv, Hainichen.

Bild 9: Persönliche Widmung für den Funkamateur in dem Belegexemplar des Buches „Mit Logbuch, Call und Funkstation“. Das Original befindet sich heute im GFGF-Archiv, Hainichen.

Das Buch stand viele Jahre im Regal, bis es mir kürzlich wieder in die Hand fiel und ich auf die Idee kam, mehr über diesen Autor zu erfahren, was vielleicht auch andere „alte Funker“ bzw. „ehemalige Junge Funker“ interessieren könnte.
Im Internet gibt es bei Wikipedia knappe Informationen über Martin Selber sowie einen Hinweis auf die Website www.martin-selber.de, die von seinem Sohn als Andenken an seinen Vater betrieben wird. Ich habe Kontakt zu ihm aufgenommen und ihn im März 2011 in Domersleben in seinem Elternhaus besucht. Klaus-Peter Merbt und Peter Tautz (ex DM3NWG) haben mir bei dieser Gelegenheit sehr viel über Martin Selber sowie dessen Aktivitäten als Funkamateur berichten können. Diese Informationen bilden die wesentliche Grundlage zum vorliegenden Beitrag. An dieser Stelle möchte ich mich bei Klaus-Peter Merbt und Peter Tautz für die freundliche Unterstützung und die zur Verfügung gestellten Bilder bedanken.

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Die wahre Geschichte des Drehkondensators /archiv/vonbechen.de/peter/2014/03/16/die-wahre-geschichte-des-drehkondensators/ /archiv/vonbechen.de/peter/2014/03/16/die-wahre-geschichte-des-drehkondensators/#respond Sun, 16 Mar 2014 17:06:24 +0000 /archiv/vonbechen.de/peter/?p=67 Weiterlesen ]]> Der Beitrag Dr. Adolf Koepsels zur Entwicklung der Funktechnik

Beim Durchstöbern historischer Radioliteratur stieß der Autor auf eine Notiz in der Funk-Technik 8/1951 [1], die als Zeitpunkt für die Erfindung des Drehkondensators das Jahr 1901 nennt. Danach sollte Dr. Adolf Koepsel im Privatlaboratorium von Wilhelm von Siemens in Berlin dieses für die Funktechnik so wichtige Bauelement erstmals gebaut haben. Auch andere Quellen bezeichnen Koepsel als „Vater des Drehkondensators“. Das entspricht jedoch nicht den Tatsachen, was die Verdienste Koepsels um die Entwicklung der Funktechnik allerdings nicht schmälern sollte.

Nach gründlichen Recherchen zeigte sich, dass die meisten Chronisten in dieser Angelegenheit irrten und anschließend schlicht die falschen Informationen voneinander abgeschrieben haben. Tatsächlich ist Dr. Koepsel nicht der Erfinder des Drehkondensators, und das in [1] erwähnte im Deutschen Museum befindliche Exemplar dürfte auch nicht der „erste Drehkondesator“ sein. Eine Anordnung, die wir heute als Drehkondensator bezeichnen würden, wurde nämlich fast ein Jahrzehnt vor Koepsels angeblicher Erfindung patentiert. Koepsels Verdienste um die Entwicklung der Funktechnik sollten dadurch keineswegs geschmälert werden. Er hat sich mit der konstruktiven Weiterentwicklung des Drehkondensators beschäftigt und diesen erfolgreich zur Frequenzabstimmung in einem Schwingkreis verwendet. Nach den vorliegenden Unterlagen war das Anfang 1902. Seit dem gibt es die Drehkondensator-Abstimmung, wie sie in Millionen Radios oder Funkgeräten zu finden ist. Auch wenn inzwischen mechanische Drehkondensatoren von Kapazitätsdioden abgelöst wurden – das Prinzip bleibt bis heute unverändert.

1892: Die Erfindung des Drehkondensators

Unter der Nr. 72447 wurde das Patent für einen „Electrischen Kondensator mit durch Lageänderung der Platten mit veränderlicher Capacität“ am 8. Juni 1892, also etwa ein Jahrzehnt vor der angeblichen „Erfindung“ Köpsels, vom Kaiserlichen Patentamt in Berlin dem Franzosen Desidier Korda erteilt. In der Patentschrift [2] heisst es: „Der Gegenstand der vorliegenden Erfindung ist ein elektrischer Kondensator dessen Belegungen, von einem flüssigen Isolator (Dielektrikum) umgeben, so einander gegenübergestellt, daß die Kapazität einen beliebigen Werth annehmen kann.“

Bild 1. Patentierte Anordnung Desider Kordas von 1892 [1]. Die mit “Fig 1.” bezeichnete Anordnung ist der Drehkondensator.

Bild 1. Patentierte Anordnung Desider Kordas von 1892 [1]. Die mit “Fig 1.” bezeichnete Anordnung ist der Drehkondensator.

Der Patentanspruch bezog sich auf folgende Anordnung (Bild 1): „Ein elektrischer Kondensator aus parallel zu einander angeordneten, halbkreisförmig gestalteten Plattenpaaren (Belegungen), wovon die Hälfte, unter sich verbunden, an einer drehbar gelagerten Achse befestigt ist, während die andere Hälfte der Belegungen feststeht, aber ebenfalls untereinander leitend verbunden ist, umgeben von einem flüssigen Isolator mit der Wirkung, daß der Werth der Capacität des Kondensators je nach der relativen Lage in Bezug auf die gegenseitige Deckung und den Abstand der drehbar vereinigten Platten (a) zu den feststehenden (b) geändert werden kann (Fig. 1).“

Diese Beschreibung entspricht also grundsätzlich dem, was man seit über hundert Jahren als Drehkondensator bezeichnet hat – allerdings mit der Ausnahme des „flüssigen Isolators“. Dieser war nämlich notwendig, weil Desider Korda eine Anwendung hatte, die hohe Spannungsfestigkeit und große Kapazitätswerte erforderte. Der zweite Anspruch seiner Patenschrift bezieht sich nämlich auf die „Aufhebung der Selbstinduction“. Wie man aus den Zeichnungen zur Patentschrift entnehmen kann, handelt es sich – wie man heute sagen würde – um ein Verfahren der automatischen Blindstromkompensation mit Hilfe eines von einem Servo angetriebenen Drehkondensators.

Koepsel und die Drahtlose Telegrafie

Bild 2. Dr. Adolf Koepsel (1856 bis 1933) (Bild: Siemens-Archiv)

Bild 2. Dr. Adolf Koepsel (1856 bis 1933) (Bild: Siemens-Archiv)

Adolf Koepsel (1856 – 1933) (Bild 2), Schüler von Hermann von Helmholtz und promovierter Physiker, trat nach seinem Studium 1885 in das Privatlaboratorium von Wilhelm von Siemens (Sohn von Werner von Siemens) ein. 1894 konstruierte er den nach ihm benannten Apparat zur Bestimmung magnetischer Eigenschaften verschiedener Eisensorten. 1899 verließ Koepsel das Charlottenburger Werk von Siemens & Halske, um Direktor des von Siemens errichteten Elektrizitätswerkes in Langethal/Schweiz zu werden. Es handelte sich bei diesem Projekt, für das Koepsel seit 1895 arbeitete, um das erste größere Hochspannungs-Drehstrom-Wasserkraftwerk.

Anlässlich einer Besichtigung dieses Werkes wurde Koepsel von Wilhelm von Siemens gefragt, ob er nicht Lust hätte, sich an den Arbeiten auf dem Gebiet der Drahtlosen Telegrafie zu beteiligen. Er überlegte nicht lange und ging schon 1900 wieder zurück nach Berlin. Grund war offensichtlich nicht nur die Sehnsucht nach der Großstadt Berlin, die Koepsel in der schweizerischen Kleinstadt sehr vermisste, sondern auch sein unermüdlicher Forschungsdrang, den er als Direktor eines Elektrizitätswerkes offensichtlich in keiner Weise befriedigen konnte.

Im Privatlaboratorium von Wilhelm von Siemens auf dem Rittergut in Biesdorf bei Berlin war es seine Aufgabe, aus den für das Laboratorium entwickelten Geräten praxistaugliche Apparate zu konstruieren. Mit diesen Sende- und Empfangsgeräten führte man damals Übertragungsversuche durch, um die Reichweite zu ermitteln. Eine Vergrößerung der Reichweite der drahtlosen Übertragung um den Faktor zehn erreichte Koepsel, indem er den Empfänger empfindlicher machte. Er ersetzte den damals üblichen Cohärer durch eine Anordnung, bei der eine Graphitspitze auf eine polierte Stahlplatte gedrückt wird.

Funktelegrafiegeräte arbeiteten vor hundert Jahren mit offenen Schwingkreisen, bei denen das Resonanzsystem aus der Eigeninduktivität und -kapazität des jeweiligen Strahlers (Antenne) besteht. Weil die Induktivitäts- und Kapazitätswerte sehr stark von den räumlichen Gegebenheiten abhängen, lag die Eigenresonanz der damals verwendeten Sender und Empfänger nicht immer auf gleicher Frequenz. Mit solchen „breitbandigen“ Übertragungsverfahren ließen sich nur geringe Reichweiten erreichen. Die Idee zur Abstimmung von Sender und Empfänger auf eine gemeinsame Frequenz gab es damals bereits: Oliver Lodge (1889) und Ferdinand Braun (1899) wurden dazu Patente erteilt. Auch Guglielmo Marconi erkannte die Bedeutung der Sender-/Empfänger-Abstimmung. Er meldete die Idee beim Britischen Patentamt an. Am 20. April 1900 wurde ihm das Patent unter der Nr. 7777 erteilt [3].

Gegen Ende des Jahres 1900 wandte sich Prof. Braun mit dem Wunsch an Wilhelm von Siemens, seine mit geschlossenen, abgestimmten Schwingkreisen gemachten Versuche fortzusetzen. Koepsel wurde beauftragt, die Resultate Brauns zu überprüfen.

Der geschlossene Schwingkreis wird eingeführt

Bild 3. Adolf Köpsel, Ferdinand Braun und Jonathan Zenneck bei Versuchen zur Funkbrücke Cuxhaven – Helgoland am 24. September 1900. Bild: Wikipedia

Bild 3. Adolf Köpsel, Ferdinand Braun und Jonathan Zenneck bei Versuchen zur Funkbrücke Cuxhaven – Helgoland am 24. September 1900. Bild: Wikipedia

Dazu fuhr Koepsel nach Cuxhaven, wo sich die Versuchsstation Brauns befand (Bild 3). „Hier war alles äußerst primitiv und ohne jeglichen praktischen Wert“, so der kurze und knappe Kommentar Koepsels zu den Braunschen Apparaten [4]. Enttäuschend war die Reichweite: „Damit konnten lediglich nur in einem Umkreise von einem Kilometer Zeichen empfangen werden, was so gut wie gar nichts bedeutete.“

Trotz des negativen Eindruckes riet er anschließend Wilhelm von Siemens, das Braunsche Prinzip für seine Apparate zu übernehmen und damit zu experimentieren. „Nach meiner Meinung war das Prinzip des geschlossenen Schwingungskreises sehr gut, aber von Braun und seinen Assistenten nicht richtig gehandhabt worden.“ Im März 1901 begann Koepsel mit den Arbeiten an Apparaten mit den Schaltungen von Braun. Schon im Juli konnte er damit eine regelmäßige Verbindung zur 60 km entfernten Insel Helgoland herstellen.

Koepsel „erfindet“ den Drehkondensator

Ende 1901 wurde die „Gesellschaft für drahtlose Telegraphie, System Prof. Braun und Siemens & Halske“ (oder kurz „Braun-Siemens-Gesellschaft“) gegründet. Bei dieser Siemens-Tochtergesellschaft handelte es sich bekanntlich um den Vorläufer der Firma Telefunken (die Telegrammadresse der Gesellschaft für drahtlose Telegraphie lautete damals bereits „Telefunken“). Auf Vorschlag von Wilhelm von Siemens wurde Adolf Koepsel die wissenschaftliche Leitung übertragen.

In einer persönlichen Mitteilung berichtet Wilhelm Siegel [5], der Anfang 1902 vor seinem Studium bei der Braun-Siemens-Gesellschaft als Mechaniker arbeitete, von der vermeintlichen Erfindung des Drehkondensators in dem dortigen Labor. Man kann aus dieser Aussage schließen, dass Koepsels Mitarbeiter zu diesem Zeitpunkt Kordas Patent nicht kannte. Siegel: „Es dürfte nicht allgemein bekannt sein, daß der Drehkondensator eine Erfindung des Hauses Siemens ist. Der Erfinder war der bekannte Herr Dr. Koepsel, der Anfang 1902 als Leiter des Labors der ,Gesellschaft für drahtlose Telegraphie, System Prof. Braun und Siemens & Halske´ die Konstruktion herausbrachte und auch die konstruktive Entwicklung weiterführte…“

Er fährt fort: „Wie bei allen Neukonstruktionen war die Entwicklung bis zur endgültigen Ausführung des Drehkondensators ein langer Weg; es galt das geeignete Material für die Plattensätze zu erfinden, harte oder geglühte Messingplatten, Zinkplatten, Aluminiumplatten. Zu beachten ist, daß der Durchmesser der Platten damals erheblich größer war als heute. Es galt außerdem eine günstige Lagerung für den beweglichen Teil zu finden, Abdichtung bei Ölkondensatoren etc. etc….“

Koepsel selbst beschreibt 1931 die Arbeiten am Drehkondensator in einem Interview [4], ohne allerdings einen exakten Zeitraum anzugeben (er selbst spricht in dem Zusammenhang übrigens nie von „Erfindung“): „Noch während meiner Tätigkeit bei Siemens hatte ich die Grundlage für den heute überall verwandten Drehkondensator gelegt. Ich sagte mir nämlich bereits bei den allerersten Versuchen, daß zwar ein geschlossener Schwingungskreis immense Möglichkeiten in sich birgt, daß aber die Wellenlänge vorausbestimmt werden und außerdem noch kontinuierlich veränderlich sein müsse.

Um dies zu erreichen, gab es aber nur zwei Wege, und zwar entweder die Kapazität oder die Selbstinduktion veränderlich zu gestalten. Ich entschied mich für den ersteren Fall, da die Kapazität von zwei, teils mehr, teils weniger entfernten Metallplatten abhängt. Natürlich spielte in diesem Falle die Größe der Platten eine Rolle, und um Raum zu sparen, ordnete ich die Platten eben dergestalt an, in dem ich zwei Halbkreise schuf, die sich gegeneinander verschieben, wodurch eine vollkommene Kontinuierlichkeit erreicht wird. So entstand der Drehkondensator, der heute eines der unentbehrlichsten Teile sowohl bei Sendung als auch bei Empfang ist.“

Die theoretischen Grundlagen über Resonanzeffekte in geschlossenen und offenen Schwingkreisen bei gedämpften Schwingungen, wie sie von Funkenstrecken erzeugt werden, lieferte Koepsel 1903 in einem ausführlichen Beitrag nach [7]. Hierbei bezog er sich auf eine frühere Arbeit von Max Wien. Die Problematik besteht darin, dass die elektrischen Vorgänge in der Funkenstrecke recht komplex sind und seinerzeit offenbar nicht reproduzierbar waren. Dadurch traten undefinierbare Resonanzerscheinungen auf.

Der angeblich „erste“ Drehkondensator

In der Notiz in der Funk-Technik [1] wird erwähnt, dass ich der (angeblich) erste Drehkondensator von 1901 im Deutschen Museum, München, befindet. Tatsächlich gibt es dieses Exponat dort heute noch, allerdings nicht in der Ausstellung, sondern im Depot. Der Drehkondensator hat die mehr als 100 Jahre erstaunlich gut und unbeschädigt überstanden (Bild 4). Das Exemplar trägt auf der Skala die Aufschrift „Siemens & Halske“ und ist laut einem angehängten Etikett auf 1901 datiert. Nach den vorliegenden Informationen handelt es sich offensichtlich nicht um den historisch „ersten“ Drehkondensator, sondern lediglich um eines von vielen Versuchsmodellen, die bei Koepsels Experimenten Verwendung fanden. Es gab im Labor der Braun-Siemens-Gesellschaft sicherlich außer diesem Exemplar noch mehr Ausführungen, denn Siegel deutet in [5] an, dass man über längere Zeit verschiedene Materialien und konstruktive Möglichkeiten erprobte. Sicher ist eigentlich nur, dass dieses Museumsstück 1901 bei Siemens gebaut worden ist.

Bild 4. Der angeblich „erste“ Drehkondensator von Koepsel im Deutschen Museum ist offensichtlich ein er von vielen Exemplaren, die 1901/1902 bei Siemens zu Experimentierzwecken gebaut wurden. Bild: Peter von Bechen

Bild 4. Der angeblich „erste“ Drehkondensator von Koepsel im Deutschen Museum ist offensichtlich ein er von vielen Exemplaren, die 1901/1902 bei Siemens zu Experimentierzwecken gebaut wurden. Bild: Peter von Bechen

Der stattliche Drehkondensator befindet sich in einer runden Metalldose mit Glasdeckel. Die Statoren und der Rotoren sind aus Messingplatten mit knapp 20 cm Durchmesser (Bild 5) in der für diese Zeit üblichen Feinmechaniker-Qualität zusammengebaut. Aufbau und Ausführung verraten eindeutige Ähnlichkeiten mit der Konstruktion der Marconi-Gesellschaft, wie sie in [6] beschrieben ist.

Bild 5. Das „Innenleben“ des im Deutschen Museum befindlichen Siemens-Drehkondensators entspricht weitgehend der Marconi-Konstruktion. Bild: Peter von Bechen

Bild 5. Das „Innenleben“ des im Deutschen Museum befindlichen Siemens-Drehkondensators entspricht weitgehend der Marconi-Konstruktion. Bild: Peter von Bechen

Um in des Volumen der Dose eine möglichst große Endkapazität unterbringen zu können, hat man jeweils eines der zwei Stator-Pakete mit einem der zwei Rotor-Pakete zusammengeschaltet (Bild 6: Stator a1 mit Rotor b1 und Stator a2 mit Rotor b2). In der Nullstellung liegen sich die elektrisch verbundenen Beläge gegenüber, womit sich die geringste Kapazität ergibt. Bei 180 Grad Drehung tauchen die Rotorplatten jeweils vollständig in das entgegengesetzte Statorplattenpaket ein. Die dann erreichte maximale Kapazität dürfte bei dieser Plattengröße und -anzahl (2 x 12 Rotor- und 2 x 13 Statorplatten) einige zehn Nanofarad betragen. Wenn das Gehäuse mit Isolieröl mit hoher Dielektrizitätskonstante gefüllt ist, wird die Kapazität noch größer sein. Bei den großen Wellenlängen, mit denen man damals experimentierte, waren diese Kapazitätswerte erforderlich.

Bild 6. Prinzip des Drehkondensators, der von der Marconi-Gesellschaft konstruiert wurde [6].

Bild 6. Prinzip des Drehkondensators, der von der Marconi-Gesellschaft konstruiert wurde [6].

Dafür, dass es sich bei dem Museumsstück nicht um einen Koepsel-Drehkondensator handelt, spricht, dass Koepsel mit jeweils einem halbkreisförmigen Stator- und Rotorpaket arbeitete. Die in Bild 7 gezeigte Konstruktionszeichnung eines halbkreisförmigen Drehkondensators (wie er später in der Funktechnik üblich war) findet sich in einer Veröffentlichung Koepsels aus dem Jahre 1904 [7].

Bild 7. Konstruktionszeichnung des Koepsel-Drehkondensators aus einer Veröffentlichung von 1904 [7].

Bild 7. Konstruktionszeichnung des Koepsel-Drehkondensators aus einer Veröffentlichung von 1904 [7].

Anwendung im Wellenmesser

Über die Anwendung von Drehkondensatoren in den geschlossenen Schwingkreisen der frühen Braunschen Funktelegrafieapparate liegen dem Autor leider keine konkreten Unterlagen vor. Vieles deutet aber darauf hin, dass Koepsel diese zunächst in Geräten zur Frequenzmessung benutzte, bevor sie sowohl auf Sender- als auch Empfängerseite eingeführt wurden. Aber schließlich ist ein „Wellenmesser“ prinzipiell auch nichts anderes als ein Empfangsgerät. In der Veröffentlichung [8] über einen von ihm mit dem Drehkondensator konstruierten Wellenmesser bemerkt Koepsel: „Der beschriebene Apparat kann auch in sehr einfacher Weise dazu diesen, die Wellenlänge irgendeines Schwingungskreises zu bestimmen.“ Über die praktischen Erfahrungen berichtet er: „Ein solches Instrument kann, als transportables Instrument konstruiert, bei der Abstimmung vorzügliche Dienste leisten, wovon ich mich bei Versuchen mit der österreichischen Marine in Pola im Sommer 1902 zu überzeugen in der Lage war.“

Anwendung fand der Koepselsche Drehkondensator nachweislich in dem bekannten Franke-Dönitzschen Wellenmesser von 1903 [9], [10], der bei der Braun-Siemens-Gesellschaft entwickelt wurde. Der zeitliche Zusammenhang mit den Versuchen Koepsels ist offensichtlich, denn Johannes Dönitz gibt in einer Fußnote in seinem Artikel [9] den Hinweis: „Die Versuche wurden im September 1902 begonnen und im Januar 1903 beendet. – Die Unterlagen für die Konstruktion des Wellenmessers lagen bereits Anfang Oktober 1902 vor.“ Ein Abschnitt und eine weitere Fußnote stellt die Verbindung zu Koepsel her: „Der Kondensator ist ein regulierbarer Plattenkondensator, welcher sich zwecks bester Isolation den hohen Spannungen gegenüber und zur Erhöhung der Dielectricitätskonstanten in einem mit Paraffinöl gefüllten Behälter befindet.“ Fußnote: „Die ersten Angaben dieses Kondensators, wenn auch in anderer Ausführung, stammen von Dr. Koepsel.“ Bild 8 zeigt die Konstruktionszeichnung des Wellenmessers (ein Foto findet sich in [10]).

Bild 8. Der Franke-Dönitzsche Wellenmesser von 1903, Konstruktionszeichnung aus [9].

Bild 8. Der Franke-Dönitzsche Wellenmesser von 1903, Konstruktionszeichnung aus [9].

Kompetenzschwierigkeiten mit Arco und Slaby

1903 wird die Braun-Siemens-Gesellschaft mit dem Radiotechnischen Laboratorium der A.E.G. zur „Gesellschaft für Drahtlose Telegraphie“ oder kurz „Telefunken“ zusammengelegt. Georg Graf Arco und Adolf Slaby waren die führenden Köpfe der radiotechnischen Entwicklung bei der A.E.G. Koepsel berichtet in seinem Interview [4], wie er die Fusion erlebt hat: „Allerdings waren wir seinerzeit nicht die Einzigen, die sich mit der drahtlosen Telegraphie beschäftigten. Auch Slaby und Arco, die übrigens zusammen arbeiteten, hatten bereits sehr günstige Resultate erzielt.

Es dauerte nicht lange, und Slaby-Arco auf der einen und Siemens-Braun auf der anderen Seite schlossen sich zusammen und gründeten die weltbekannte Firma ,Telefunken´. Infolge Kompetenzstreitigkeiten ließ ich die drahtlose Technik links liegen und widmete mich den Fernmeßapparaten…“

Trotzdem ließ ihn der Gedanke an die Weiterentwicklung des Drehkondensators nicht mehr los. Das Interview anlässlich seines 75. Geburtstages (zwei Jahre vor seinem Tod) [4] beendet er mit folgender Bemerkung: „Ich habe mich, das möchte ich als Abschluß noch erwähnen, schon sehr oft mit der Frage beschäftigt, ob auch vielleicht eine andere Form für den Kondensator besser und vor allen Dingen geeigneter wäre. Ich habe aber nichts finden können, ausgenommen eine Anordnung, bei der die Platten nicht übereinander liegen, sondern keilförmig angeordnet sind und jetzt gegeneinander verschoben werden. Aber dies bedingt ganz neue Voraussetzungen und Verwendungsmöglichkeiten, die noch nicht gegeben sind.“ Heute wissen wir, dass die Grundideen der Väter des Drehkondensators so gut waren, dass es in den vergangenen mehr als 100 Jahren eigentlich nichts mehr zu verbessern gab.

Legenden leben lange

Dass Dr. Adolf Koepsel gar nicht der „Erfinder des Drehkondensators“ war, dürfte er selbst wohl gewusst haben und den meisten Beteiligten seinerzeit sicher klar gewesen sein. Die damalige Tages- und Fachpresse hat die Legende möglicherweise wider besseren Wissens lanciert. Es ist davon auszugehen, dass man bei Siemens das damals bereits zehn Jahre alte Patent kannte. Spätestens, wenn Koepsel versucht hätte, sich die Patentrechte zu sichern, wäre Kordas Patent zum Vorschein gekommen. Offensichtlich hatten weder Dr. Koepsel noch Siemens seinerzeit Interesse daran, die wahren Zusammenhänge darzustellen. Über die Gründe kann man nur spekulieren.

An dieser Stelle mein herzlicher Dank an das Deutsche Museum, das den Zugang zum Siemens-Drehkondensator möglich machte, an das Siemens-Archiv, das den Einblick in bisher unveröffentlichte Unterlagen in der Personalakte Koepsels erlaubte, und schließlich an Dr. Herbert Börner für seine ergänzenden Hinweise zum Marconi-Drehkondensator.

Literatur:

[1] o. Verfasser: 50 Jahre Drehkondensator. Funk-Technik 1951, Nr. 8, Seite 209

[2] o. Verfasser: Patentschrift Nr. 72447 vom 8. Juni 1892. Kaiserliches Patentamt, Berlin

[3] Börner, H.: Ich muß die Welt zum Laboratorium haben. FUNKGESCHICHTE 118 (1998), S. 55 – 66.

[4] o. Verfasser: Ein Forscher erzählt. Dr. Koepsel, der Erfinder des Drehkondensators, 75 Jahre alt. Tageszeitung “Berlin am Morgen” vom 26. März 1931, Seite 8.

[5] Siegel, W.: Persönliche Mitteilung an die Redaktion der „Siemens-Mitteilungen“ vom 25. Februar 1952.

[6] Rein, H.: Lehrbuch der Drahtlosen Telegraphie, Berlin, Springer-Verlag, Seiten 18 – 19.

[7] Koepsel, Dr. A.: Bestimmung von Kapazität und Selbstinduktion vermittelst sehr schneller elektrischer Schwingungen. Dinglers Polytechnisches Journal, 85. Jahrgang (1904) Bd. 319, Heft 14, S. 209 – 212.

[8] Koepsel, Dr. A.: Ueber Resonanzschwierigkeiten bei der drahtlosen Telegraphie. Dinglers Polytechnisches Journal 84. Jahrgang (1903) Bd. 318, Heft 40, S. 625 – 627 und Heft 41, S. 645 – 647.

[9] Dönitz, J.: Der Wellenmesser und seine Anwendung. Elektrotechnische Zeitschrift 1903, Heft 45, S. 920 – 925

[10] Börner, H.: Heinrich-Herz-Medallie ausgegraben. FUNKGESCHICHTE 123 (2000), S. 282 – 284.

Autor: Peter von Bechen

Dieser Beitrag wurde erstmals veröffentlicht in der Zeitschrift „Funkgeschichte“ Nr. 142 (2002), Publikation der GFGF e. V. (www.gfgf.org), Seiten 72 – 79. Diese Zeitschrift ist nur im Rahmen der GFGF-Mitgliedschaft zu beziehen.

 

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Spätestens seit dem Buch von Burkhard Kainka [1] weiß der heutige Röhrenradio-Bastler, dass manche Röhren, die eigentlich für hohe Anodenspannungen ausgelegt sind, auch mit wenigen Volt an der Anode schon brauchbare Ergebnisse bringen können. In den USA hat man diesen Effekt in den 1930er-Jahren bereits genutzt, um Radios zu bauen, die auch bei totalem Stromausfall („Blackout“) noch Empfang ermöglichen.

Wer schon einmal die USA bereist hat, ist immer wieder erstaunt über die „gewagte“ Verkabelungstechnik öffentlicher Stromnetze. Insbesondere auf dem Lande und in kleinen Ortschaften sieht man auch heute noch Freileitungen, die Naturgewalten ganz offensichtlich nicht lange widerstehen können. Dabei waren und sind in den USA beispielsweise Hurrikans im Mittleren Westen, Erdbeben in Kalifornien oder Überschwemmungen am Mississippi keine Seltenheit. Hierzulande sieht man dann im Fernsehen in den Nachrichten die verwüsteten Orte und immer wieder heruntergerissene Strom- und Telefonleitungen.
Um in solchen Katastrophenfällen die Bevölkerung informieren zu können, setzte man in den USA schon früh auf das Radio. Doch vor der Erfindung des Transistors gab es nur Röhrenempfänger, die zum Betrieb Spannungen benötigten, die in den meisten Fällen nur aus dem öffentlichen Stromnetz bezogen werden konnten. Und das steht dort im Katastrophenfall meistens nicht zur Verfügung.
Natürlich gab es seit Anfang des Radiozeitalters auch Batteriegeräte, später dann auch Röhren-Koffergeräte, die mit Batterien betrieben wurden und so vom Stromnetz unabhängig funktionieren. Typischerweise hatten diese eine Heizbatterie (2 oder 4 Volt), die in den USA die Bezeichnung „A Battery“ trägt, und eine Anodenbatterie (90 bis 135 Volt), die als „B Battery“ bezeichnet wird.
Nicht nur Röhren-Kofferradios waren in den 1930er-Jahren sehr teuer, auch die zum Betrieb erforderlichen Batterien, insbesondere die Anodenbatterien. Deshalb wundert es nicht, dass im Falle einer Naturkatastrophe damals nur wenige Haushalte in Lage waren, Warnmeldungen über den Rundfunk zu empfangen.

Der „Hurrricane Emergency Receiver“
Findige Tüftler suchten deshalb Wege, wie man auch unter den schwierigen Bedingungen eines totalen Stromausfalls mit bescheiden Mitteln Radio hören kann. Da kamen einerseits die seit langem bekannten Detektoren („Crystal Sets“) in Frage, die aber nur in unmittelbarer Nähe des Senders befriedigende Ergebnisse bringen. Andererseits versuchte man, Röhrenempfänger auch ohne die teure „B Battery“ zu betreiben.

Bild 1. Der „Hurricane Emergency Receiver“ [2] ist ein Audion mit Rückkopplung über die Kathode (Eco-Audion) und anschließender NF-Endstufe.

Bild 1. Der „Hurricane Emergency Receiver“ [2] ist ein Audion mit Rückkopplung über die Kathode (Eco-Audion) und anschließender NF-Endstufe.


Herausgekommen sind dabei interessante Konstruktionen, die als Bauanleitungen im „Popular Mechanics Magazine“ veröffentlicht wurden. Diese Monatszeitschrift war viele Jahrzehnte in den USA weit verbreitet und gab Heimwerkern interessante Anregungen zum Selbstbau aller möglichen praktischen Dinge des täglichen Lebens. Unter anderem waren dies in den 1930er-und 1940er-Jahren auch Radios.
Der im Februarheft von 1937 beschriebene „Hurricane Emergency Receiver“ [2] (Bild 1) ist ein Audion mit Rückkopplung über die Kathode (Eco-Audion) und anschließender NF-Endstufe, wie sie auch von Kainka in [1] beschrieben wird. Eigentlich handelt es sich weitgehend um eine Standardschaltung, die auch bei höheren Spannungen Verwendung findet. Lediglich die Zusammenschaltung von Schirm- und Bremsgitter ist nicht unbedingt üblich. Im Gegensatz zu ähnlichen Vorschlägen aus dieser Zeit, die in der Regel einen NF-Trafo (1:4) zur Ankopplung der NF-Stufe nutzen, arbeitet die Schaltung interessanterweise mit RC-Kopplung. Auf Grund der großen Steilheit der verwendeten Röhren wird trotzdem eine ausreichende Gesamtverstärkung erreicht.
Das vom Verfasser nachgebaute Gerät (siehe Kasten) zeigt, dass die Schaltung wirklich gut funktioniert, wenn der relativ hohe Strom für die Heizung aufgebracht werden kann. Deswegen sieht die Original-Bauanleitung dafür Akkumulatoren vor. Offensichtlich ging der Entwickler der Schaltung davon aus, dass ein solcher auch im Katastrophenfall zur Verfügung steht, z. B. in Form einer geladenen Autobatterie.

Version mit Batterieröhren
Der 1937 in der Dezember-Ausgabe vorgestellte Bauvorschlag für einen „Two-Tube Portable Emergency Receiver“ [3] arbeitet mit zwei Batterietrioden vom US-Typ 30 (Bilder 2 und 3). Es handelt sich um die übliche Leithäuser/Schnell-Schaltung, an die die NF-Stufe über einen Übertrager angekoppelt ist. Die Rückkopplung wird durch Verschieben einer Spule über der Schwingkreisspule eingestellt. Offensichtlich ist dieses Gerät für den Empfang nur einer lokalen Station konzipiert.

Bild 2. Der „Two-Tube Portable Emergency Receiver“ [3] arbeitet mit zwei Batterietrioden vom US-Typ 30.

Bild 2. Der „Two-Tube Portable Emergency Receiver“ [3] arbeitet mit zwei Batterietrioden vom US-Typ 30.


Im Gegensatz zum Hurricane-Receiver [2] benötigt das Gerät zwei Batterien, und zwar eine 2-Volt-Heizbatterie, die allerdings im Betrieb nur insgesamt 120 mA aufbringen muss, und als „B Battery“ eine 22,5-Volt-Batterie, wie sie für Blitzgeräte (für Magnesiumdraht-Blitzbirnen) gedacht war. Die Anleitung gibt an, dass für die Heizung zwei Trockenelemente (die kosteten damals jeweils 10 US-ct. – eine Flasche Coke war für 5 ct zu haben…) etwa fünf Stunden ununterbrochenen Betrieb erlauben und die „B Battery“ bis zu sechs Monate hält.
Bild 3. Der „Two-Tube Portable Emergency Receiver“ ist in einer Zigarrenkiste eingebaut.

Bild 3. Der „Two-Tube Portable Emergency Receiver“ ist in einer Zigarrenkiste eingebaut.



Das Blackout-Radio

Der in [4] beschriebene „Blackout Emergency Set“ (Bild 4) arbeitet mit zwei Röhren vom US-Typ 6G6G. Es handelt sich auch hier um ein klassisches Leithäuser-Rückkopplungsaudion mit NF-Endstufe, die über einen Übertrager angekoppelt ist. Das Ganze ist in einer Zigarrenkiste untergebracht. Heiz- und Anodenspannung werden einem 6-V-Akkumulator entnommen, für den auch ein praktisches Tragekörbchen vorgeschlagen wird. Im Vergleich zu den im Hurricane Receiver [2] verwendeten Röhren sind die Heizungen der 6G6G richtig sparsam – sie nehmen jeweils 150 mA, also zusammen 300 mA auf.
Bild 4. Der „Blackout Emergency Set“ arbeitet mit zwei Röhren vom US-Typ 6G6G.

Bild 4. Der „Blackout Emergency Set“ arbeitet mit zwei Röhren vom US-Typ 6G6G.

Anregungen für Experimente
Kainka hat in seinem Buch [1] verschiedene verfügbare Röhren auf ihre Brauchbarkeit bei geringen Anodenspannungen untersucht. Es haben sich einige Typen als interessante Kandidaten für erfolgversprechende Niederspannungsprojekte herausgestellt – nicht nur die für den Betrieb aus der Autobatterie konzipierten Typen wie ECC86 und EF98. Auch die kleine Schwester der EL84, die EL95, sowie die Spanngitter-UHF-Trioden PC86 und PC88 kommen in Frage. Viele Möglichkeiten für interessante Experimente mit ungefährlichen Anodenspannungen – der Autor kann bestätigen, dass er dabei so manche bemerkenswerte Entdeckung machen konnte.

6 Volt reichen tatsächlich
Die einfache Schaltung und die Tatsache, dass in der „Bastelkiste“ des Autors die meisten der erforderlichen Teile bereits zu finden waren, veranlassten ihn, das in [2] beschriebene Gerät nachzubauen. Er war neugierig, was ein Radio mit Standardröhren leistet, die mit 6 V Anodenspannung betrieben werden.

Bild 5. Die Schaltung: Klassisches ECO-Audion.

Bild 5. Die Schaltung: Klassisches ECO-Audion.


Das Chassis wurde aus vorhandenen Aluminiumblechen ungefähr mit den Maßen angefertigt, die im Bauvorschlag angegeben sind. Die Anordnung der Bauteile ist gleich, lediglich die Kopfhörerbuchsen wurden praktischerweise nach vorne verlegt. Als Röhren standen eine VT91A, die der 6J7G entspricht, und eine 1613, die der 6F6 entspricht, zur Verfügung. Spulenkörper ist ein Stück einer Pappröhre (ehemaliger Kern einer Thermo-Faxpapier-Rolle) mit 30 mm Durchmesser. Darauf befinden sich 120 Windungen seideumspannter CuL-Draht, Kathoden-Anzapfung bei 25 Windungen. Die wenigen weiteren Teile sind Standardbauelemente, an die keine besonderen Ansprüche bezüglich Leistung und Spannungsfestigkeit gestellt werden.
Bild 6. Betrieb mit einer 6-V-Lampenbatterie: Das Gerät funktioniert zwar damit, aber die Belastung der Trockenbatterie, ist so groß, dass ihre Klemmenspannung auf etwas mehr als 5 Volt zurückgeht.

Bild 6. Betrieb mit einer 6-V-Lampenbatterie: Das Gerät funktioniert zwar damit, aber die Belastung der Trockenbatterie, ist so groß, dass ihre Klemmenspannung auf etwas mehr als 5 Volt zurückgeht.


Das kleine Gerät funktionierte sofort nach dem Zusammenbau. Man muss nach dem Einschalten natürlich so lange warten, bis die indirekt geheizten Röhren auf Betriebstemperatur sind. Das kann 10 bis 20 Sekunden dauern. Beim Einschalten nehmen die kalten Heizfäden etwa 2 A auf. Dieser Wert geht nach kurzer Zeit auf etwa 1 A zurück.
Das Gerät ist wegen der hohen Stromaufnahme für den Betrieb aus einem 6-V-Akkumulator ausgelegt. Der Autor hat es mit einer 6-V-Lampenbatterie versucht. Das Gerät funktioniert zwar damit, aber die Belastung der Trockenbatterie, die immerhin eine Kapazität von 7 Ah hat, ist so groß, dass ihre Klemmenspannung auf etwas mehr als 5 V zurückgeht.
Die Empfangsleistung ist durchaus bemerkenswert. Der etwa 20 km entfernte MW-Sender Ismaning (801 kHz) ist mit einer Antenne aus ein paar Metern Kupferdraht den ganzen Tag über laut im Kopfhörer zu hören, am Abend sind mehrere Stationen zu empfangen. Die kräftig wirkende Rückkopplung sorgt für ausreichende Trennschärfe.
Bild 7. Das Erprobungsgerät von unten.

Bild 7. Das Erprobungsgerät von unten.

Quellen
[1] Kainka, B.: Röhrenprojekte von 6 bis 60 V. Elektor-Verlag Aachen, 2004, ISBN 978-3-89576-142-3.

[2] ohne Verfasser: How to build an Hurricane Emergency Receiver. Popular Mechanics Magazine, Bd. 67 / 1937, Heft 2, (Februar), Seiten 258, 259 und 152A.

[3] Beitman, M. N.: Two Tube Portable Emergency Receiver. Popular Mechanics Magazine, Bd. 67 / 1937, Heft 12, (Dezember), Seiten 898, 899 und 156A.

[4] Johnson, S. A.: Six Volts works this Black Out Emergency Set. Popular Mechanics Magazine, Bd. 73 / 1943, Heft 11 (November), Seiten 142 und 143.

Autor: Peter von Bechen

Dieser Beitrag wurde erstmals veröffentlicht in der Zeitschrift „Funkgeschichte“ Nr. 197 (2011), Publikation der GFGF e. V. (www.gfgf.org), Seiten 88 – 91. Diese Zeitschrift ist nur im Rahmen der GFGF-Mitgliedschaft zu beziehen.

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